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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Jahren?«
»Wir sind mehr, als du ahnst, Veum. Wir sind jetzt dabei, wieder zum Leben zu erwachen. Und wir haben die Jugend auf unserer Seite. Die Zeitungen versuchen, das zu verschweigen, aber wir werden mehr und mehr – in Deutschland, in Norwegen, ja sogar in England.«
»Der alte Erzfeind?« sagte ich matt. »Hochburg der Demokratie?«
» Wir sind die wahren Demokraten, Veum!« flammte es in ihm auf.
»Wir sind die wirkliche Zukunft, die die Menschheit reinigen und sie wiedergebären wird. Es gibt zu viel Dreck und Abschaum heute, Vermischung der Rassen und der Nationen. Aber die Menschen der Zukunft sind rein und weiß, neugeboren …«
»In einem Reinigungsbad aus Blut und Feuer?«
»Einem befreienden Reinigungsbad aus Eisen. Wir werden sie niederschlagen, die Zwerge und die Bolschewisten, die Juden und die Nigger. All die Unwürdigen und Unreinen sollen weg, verschwinden …«
Seine Augen waren einen Augenblick lang weit weg gewesen, und ich hatte erneut das Körpergewicht verlagert. Dann kam sein Blick plötzlich wieder zurück, und die Augen starrten mich an, das kalte schwarze vorn und die fieberheißen darüber.
»Du bist doch nicht etwa auch Jude, Veum?«
Ich hob die Hand zu meinem blonden Haar. »Sieht das so aus?«
»Oder Bolschewist?«
Ich nahm Haltung an und zwang sowohl mich selbst als auch ihn in die Wirklichkeit zurück. »Aber was war 1971 …«
»Halt die Schnauze, hab ich gesagt!« Die Pistole vibrierte. »Ich hab gesagt, ich werde dir vom Brand erzählen. Hinterher ging es, wie ich gedacht hatte. Hellebust gab uns, worum wir ihn baten. Ich hatte ja einen gewissen Ruf, und wir waren uns einig, daß es nicht sonderlich schlau wäre, mir das Bargeld zu geben. Aber Elise und ich waren schon zusammen und ich war zufrieden damit, von ihr ernährt zu werden. Sie wußte nämlich nichts. Sie war nicht da, als Holger Karlsen mit seinen Klagen kam. Nur Hellebust, die Pedersen und ich. Und Pedersen fraß Hellebust aus der Hand. Elise begriff zwar, daß was los war, aber sie gab sich damit zufrieden, daß es etwas zwischen mir und Hellebust noch aus der Kriegszeit war. Sie nahm mich nämlich als das, was ich war, Veum – nicht als Kollaborateur, wie ihr mich nanntet, sondern einen Märtyrer für die Sache, für die Zukunft.«
»Ein Märtyrer für die Zukunft«, wiederholte ich, fast tonlos.
»Und warum glaubst du, erzähl ich dir das alles, Veum?«
Die gelben Zähne kamen wieder zum Vorschein. »Was?« Ich zuckte mit den Schultern und hob ratlos die Hände.
Er griff wieder fester um die Pistole. »Ich mag es, Leute sterben zu sehen, Veum.« Nach einer angespannten, fast qualvollen Pause setzte er hinzu: »Und am besten gefällt es mir, ihre Angst zu sehen, bevor sie sterben. Hast du mit allem abgerechnet, Veum? Hast du einen Glauben? Weißt du, ob du in den Himmel oder in die Hölle kommst, wenn du gleich hopps gehst?«
»Ja«, antwortete ich. »Ich weiß, wohin ich komme.«
»Na, und wohin?« fragte er voll Hohn.
»Dorthin, wo du nie hinkommst, Wulff. Und noch weiter. Denn wenn du verblutet bist, dann laufe ich da draußen auf der Straße rum.« Ich schwenkte die Hand zum Fenster. »Und lebe noch!«
»Das glaubst auch nur du!« bellte er.
»Ich weiß es«, sagte ich und warf mich zur Seite. Aber ich kam gar nicht erst bis zum Fenster. Ich stolperte über einen Flickenteppich und taumelte blind gegen die Wand, knickte in den Knien zusammen und hörte den enormen Knall hinter mir. Das schwere Projektil schlug dort in die Wand, wo ich gestanden hatte, und es knirschte in zermalmten Putz. Dann knallte es noch einmal, und ich rollte mich in Embryostellung zusammen, als letzten Schutz gegen den Tod, während ich auf den nächsten Schuß wartete, den letzten.
Aber es knallte nicht mehr. Das einzige, was zu hören war, war das leise, winselnde Schluchzen von Elise Blom, und die ohrenbetäubende, donnernde Stille, die auf einen solchen Knall in kleinen Räumen folgt.
Nach einer Weile erhob ich mich und sah mich mit neuen, frischen Augen um, als sei ich von den Toten auferstanden.
Das zweite Mal hatte Harald Wulff den Pistolenlauf in den Mund gesteckt und abgedrückt. Der Schuß hatte an die Wand direkt hinter ihm eine graurote, unregelmäßige Rosette aus Hirnmasse und Blut gemalt, mitten zwischen die Portraits von Adolf Hitler und Vidkun Quisling.
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    Ich überließ es Elise Blom, die Polizei oder wen auch immer sie wollte, anzurufen. Ich selbst verließ das Haus wie mit einer Art Kater. Die beiden Schüsse

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