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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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waren, entweder tot sind oder so alt, daß sie das meiste vergessen haben. Und wir leisteten nur die Fußarbeit. Es wurde auch eine öffentliche Untersuchungskommission benannt, um das Unglück zu begutachten.«
»Warum das?«
»Weil fünfzehn Mann dabei draufgegangen waren und im gleichen Herbst Parlamentswahlen.«
Ich stellte mein Glas weg. Es war leer. Draußen war es völlig dunkel geworden. »Hast du noch mehr?«
Er sah mich düster an. »Das hier ist das Sicherste, was ich habe, sozusagen. Die Aussage der Witwe und Holger Karisens Leiche. Das andere – das ist so unsicher, wie nur was … Es stützt sich nämlich in erster Linie auf eine Vermutung, die nie bestätigt worden ist. Und wenn man etwas auf Vermutungen aufbaut, kann das, was man baut, nie etwas anderes als Vermutung sein, oder nicht?«
»Gibt es was – möchtest du, daß ich versuche, was für dich zu tun?«
Er schüttelte bestimmt den Kopf. »Nein, nein. Verzeih einem alten Mann, der in Sachen herumrührt, die andere längst vergessen haben. Ich erzähle nur eine Geschichte, Veum – eine kleine Gutenachtgeschichte.«
»Na, dann erzähl mir auch von der Vermutung.«
Er sah auf die Uhr. Um die Zeiger zu erkennen, mußte er das Zifferblatt direkt vor das Gesicht halten. Mir fiel auf, daß er sehr müde aussah. Ich selbst fühlte mich auch nicht sonderlich frisch. Der wohlige Rausch war weg; jetzt lag der Schnaps wie ein saurer Klumpen irgendwo im Bauch. Er sagte: »Dann muß ich dir von ›Giftratte‹ erzählen, und vom Krieg. Und das – das ist nochmal eine lange Geschichte. Ich glaube, ich mag nicht mehr. Nicht heute abend.«
Er sah vom Pappkarton zur Schlafzimmertür. Die Flasche vor ihm war leer, und in seinem Glas nur noch eine kleine Pfütze.
»Wir treffen uns lieber morgen wieder – im Lokal, da kann ich dann ja weitererzählen.«
Ich stand auf. Es war eine große Last, die ich da hob und der Boden unter mir war moorig. »Gleiche Zeit?«
»Etwas später«, murmelte er. »Paßt dir sechs Uhr ungefähr?«
Ich nickte.
Er kam um den Tisch herum und reichte mir die Hand zu einem festen Händedruck. »Jedenfalls, danke, daß du mir zugehört hast. Denk nicht weiter dran. Es ist nur … Blödsinn. Ich bin nur … alter … Mann.«
Die Worte kamen zäher und zäher und er ging schwerfällig, als er mich zur Tür brachte.
Ich stieg durch einen dunklen Schacht im Haus hinunter, durch quietschende Türen nach draußen und bekam Regen ins Gesicht: nassen, schwarzen Regen. Von der anderen Seite der Straße starrte mir ein dunkles Schaufenster entgegen. Wie ein leeres Auge in einem greisen Gesicht. Ich schlug den Mantelkragen im Nacken weit hoch, duckte den Kopf gegen den Regen und begann zu gehen.
5
    Am nächsten Tag schmeckte mein Kaffee bitter wie alter Südwester. Draußen vor meinen Bürofenstern gab es zwischen den kräftigen Regengüssen kleine Sonnenaugenblicke. In meinem Kopf war beständig graues Wetter.
    Hjalmar Nymark kam wie abgemacht gegen sechs Uhr ins Lokal. Er kam rasch durch die Tür herein und sah sich um, als hätte er jemanden auf den Fersen. Noch an der Tür blieb er stehen und sah prüfend von Gesicht zu Gesicht, bevor er zu mir herüberkam. Er grüßte schroff und plötzlich hatte er etwas Geducktes, Rastloses an sich, das da vorher nicht gewesen war. Er blickte die ganze Zeit verstohlen um sich und sah jeden Menschen, der zur Tür hereinkam mit scharfen Augen prüfend an. Die zusammengerollte Zeitung rotierte nervös in seiner einen Hand und er brauchte fünf Minuten, um den ersten Halben zu leeren.
    Als er einen neuen bestellte, fragte ich vorsichtig: »1st irgendwas los?«
Er schielte auf mich und biß sich in die Unterlippe. »Haben wir gestern eine ganze Flasche Schnaps leer gemacht?«
Ich nickte. »Ich denke schon.«
»Ja«, kam es schwer. Er sah hinunter in sein Bierglas. Als er sein Gesicht wieder hob, sah er gedankenverloren über meine rechte Schulter. »Es ist vielleicht besser … Vielleicht wäre es besser, schlafende Wölfe in Frieden zu lassen.«
»Was meinst du?«
Er sah mich düster an. »Es ist nicht sicher, ob es sich lohnt, achtundzwanzig Jahre alte Leichen wieder auszugraben. Oder noch ältere. Man wird in meinem Alter schnell müde. Ich habe zuviel gesehen. Viel zuviel Elend und viel zuwenig Glück. Es gibt sicher Grenzen für das, was ein einzelner Mensch aufnehmen kann, glaubst du nicht?«
Ich ließ den Finger an der beschlagenen Außenseite meines Glases entlanggleiten. Er hinterließ eine Spur vom Rand

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