Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
bis zum Fuß. Ich sagte:
»Du erwähntest gestern, daß du mir von ›Giftratte‹ erzählen wolltest.«
Er sah sich wieder um. Nicht weit von uns hörten wir Bruchstücke einer Unterhaltung. Ein lautstarker Kerl mit zwei Tage altem Bart erzählte einem mageren Mann von einem Gespräch, das er in einem Zug belauscht hatte. »… sie ’ne hübsche Französin und er so’n Ornithologe oder so, jedenfalls säuselt er rum und will ihr seine ganzen Viecher beschreiben und da sagt sie, weißt ja, mit so’m süßen Akzent und so, sie sagt also: Ach, wie schön, isch liebe Vögeln!« Der Mann, der die Geschichte erzählt hatte, bekam einen Lachkrampf und schlug die Fäuste auf den Tisch, daß die Gläser nur so hüpften. Sein Kumpel sah aus, als sei ihm eher nach Weinen zumute. Hjalmar Nymark wandte mir wieder den Blick zu. »Interessiert dich das wirklich?«
»Absolut.« antwortete ich.
»Gut, gut.« Er setzte sich zurecht, als nähme er auf einem Rednerstuhl Platz. Aber die Versammlung, zu der er sprach, war nicht groß, denn er sprach mit gedämpfter Stimme, so leise, daß kaum ein Wort den Nachbartisch erreichte.
»Wie alt warst du eigentlich, als der Krieg aufhörte, Veum?«
»Zwei-drei. Ich erinnere so gut wie gar nichts.«
»Und was machte dein Vater während des Krieges?«
»Der? Er gehörte wohl zur großen Mehrheit. Zu denen, die überhaupt nichts taten. Er verkaufte Fahrkarten in der Straßenbahn, genau wie vorher. Und nachher. In der Freizeit las er über altnordische Mythologie, aber er stand wohl doch weit von Nasjonal Samling 5 . Von Natur aus war er ziemlich sicher Sozialdemokrat. Aber er starb schon, als ich vierzehn war, deshalb …«
»Naja. Ich will mich nicht lange dabei aufhalten, zu … ich will auch nicht versuchen, meinen eigenen Einsatz zu verherrlichen. Aber ich war – unter den Aktiven. Du weißt, es gab eine Menge Diskussionen darüber, wer eigentlich die Widerstandsarbeit begonnen hat, aber hier im Vestland waren es jedenfalls die Arbeiterpartei und die Kommunisten, mit Peder Furubotn an der Spitze. Aber als Furubotn ein Hauptquartier in Valdres einrichtete, blieb ich in Bergen zurück und verlor damit zum großen Teil den Kontakt zu dieser Gruppierung. In der Zwischenzeit hatte sich die Hjemmefront 6 organisiert, und viele andere Gruppen auch und ich habe nicht wenige dramatische Ereignisse miterlebt. Einmal, im Evanger-Gebiet …«
Er unterbrach sich selbst. »Langweile ich dich?«
»Nein, nein – ganz und gar nicht. Mach weiter.«
»Also. Leiter der Gruppe, zu der ich gehörte, von 1942 bis 1945, war Konrad Fanebust, der später Bürgermeister von Bergen wurde. Er ist wohl einer der größten Kriegshelden, die wir hier im Distrikt haben, und er leistete unermessliche Arbeit. Aber damals, bei Evanger, gerieten wir in ein Gefecht mit einer deutschen Skipatrouille. Das waren Fanebust, ich selbst, einer, der Jacob Olsen hieß und zwei Jungs aus Voss. Der Jacob wurde auf der Stelle getötet und der Fanebust kriegte eine Salve in die Schulter. Dann ging er aus der Loipe, fiel und brach sich das Bein. Wir schossen zurück, während einer der Jungs aus Voss dem Fanebust provisorisch das Bein schiente und ihn auf einen Schlitten verfrachtete. Dann machten wir uns auf den Weg. Es war teuflisches Wetter, obwohl es später Frühling war und der Fluß in Begriff, über die Ufer zu treten. Trotzdem schafften wir es, zur nächsten Anhöhe rüber und weiter nach oben ins Fjell zu kommen. Oben in Hamlagrø hatten wir eine unserer Hütten, und da bekamen Fanebusts Bein und Schußwunde eine ordentliche Behandlung. Er konnte froh sein, überlebt zu haben, aber er war sein Gewicht in Gold wert. Die ersten vier Monate, nachdem wir ihn nach Bergen zurückgeschafft hatten, leitete er die Aktivitäten vom Bett aus, obwohl der Beinbruch wirklich kompliziert war und er sich nie wieder ganz davon erholte. Ich war so eine Art Sicherheitschef in der Gruppe. Hatte nachrichtendienstliche Aufgaben. Ich hatte ja Erfahrung aus der Polizeiarbeit von vor dem Krieg, aber in den Kriegsjahren arbeitete ich – außerhalb. Während dieser Ermittlungsarbeiten kam ich ›Giftratte‹ auf die Spur.«
» Wer oder was war ›Giftratte‹?«
Er war weit, weit weg. Die Zeitung lag schlapp in seiner Hand. Er trank nicht vom Bier. »Stell dir Bergen vor, während des Krieges. Eine verdunkelte Stadt. Ab und zu hörtest du eine Explosion, oder ein deutsches Auto, das durch die Straßen raste. Oder das Geräusch des Stiefelgetrampels ihrer

Weitere Kostenlose Bücher