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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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starb und das unter meines Erachtens verdächtigen Umständen. Und da ich nun ebenfalls nicht an Gespenster glaube, gibt es nur eine Erklärung, oder nicht?«
»Doch!«
Ich konnte sehen, daß ich sie unsicher und verwirrt gemacht hatte, daß sie nicht mehr hundertprozentig sicher war, ob sie mir vertrauen konnte. Und ich verstand sie. Mir war klar, daß mir viele skeptische Gesichter begegnen würden, wenn ich weiterhin herumging und von dreißig Jahren alten Verbrechen erzählte, von verdächtigen Todesfällen aus dem Krieg und von Gespenstern.
»Findest du, daß sich das unwahrscheinlich anhört?«
Sie betrachtete mich durch ihre großen Brillengläser. »Ich weiß nicht. Es ist nur so schwer, sich umzustellen, sozusagen von vorn anfangen zu sollen. Vielleicht … Vielleicht ist es besser, es so zu lassen, wie es ist, es wird nur noch mehr Unglück mit sich bringen, wieder darin herumzurühren.«
Ich sah über den Rand der Kaffeetasse zu ihr hinüber.
»Ich verstehe, daß du skeptisch bist. Aber – ich empfinde es jedenfalls als eine Verpflichtung, Hjalmar Nymark gegenüber. Ich werde die Untersuchungen fortsetzen, so weit ich komme. Aber ich werde versuchen, dich nicht mehr damit zu belästigen.«
»Du belästigst mich ganz und gar nicht, versteh mich nicht falsch. Nur, ich … Ich bin 58 Jahre alt und Witwe, seit ich 31 bin. Das Leben, das ich einmal hatte, ist verspielt. Ich liebe Holger, ja, ich sage liebe – in der Gegenwart. Für mich wird er immer Gegenwart sein. Aber das bedeutet auch, daß ich 27 Jahre in einem leeren Raum gelebt habe. Jahre, die ich mit ihm zusammen hätte haben sollen, habe ich ohne Liebe, ohne Berührung gelebt. Meine Zärtlichkeit habe ich einem Blumenbeet auf einem Grab gegeben, Freude hat sich an Erinnerungen geknüpft – und an Anita. Du mußt verstehen, daß ein Mensch – daß ich müde werde.«
Ich sagte leise: »Natürlich. Ich will nicht, ich …«
Ich wandte den Kopf zur Seite, starrte verzweifelt um mich, suchte nach etwas, was ich sagen konnte, etwas anderem. Ich sagte: »Was – was tust du sonst? Arbeitest du?«
Sie nahm die Brille ab und legte sie vor sich auf den Tisch. Der Blick wurde schmal und ziellos. Sie massierte sich hart mit den Handflächen die Augen. »Ja, ich habe eine halbe Stelle unten in der Bezirksverwaltung, drei Tage die Woche.«
»Also du arbeitest – da unten?« Ich sah auf das dunkle, hohe Verwaltungsgebäude des Bezirks Hordaland hinunter und bekam eine Gänsehaut. Das Gebäude mit den braunen Metallplatten an der Fassade erhob sich wie ein Staudamm gegen die Strandgate, in grellem Kontrast zu den hübschen, kleinen Holzhäusern auf der anderen Seite des Ytre Markvei. Wenn die Herbststürme und der Sommerregen einsetzten, konnte es wirklich ein dunkler und wenig gastfreundlicher Bezirk sein, aber so lebensfeindlich war er denn doch nicht: ein so häßliches Monument hatte er nicht verdient.
»Ja.« Als läse sie meine Gedanken, sagte sie: »Ich weiß noch … als wir hier einzogen. Wir konnten direkt auf Vågen hinuntersehen. Die Schiffe, die kamen und gingen. Die großen Passagierschiffe auf Skolten – die Amerikalinie …«
»Ja. Das war einmal, wie es heißt. Es wird damit wohl sein, wie mit den Märchen. Bald wird es auch niemanden mehr geben, der daran noch glaubt.« Ich erhob mich und stand unschlüssig mitten im Raum. »Dann werde ich mich wohl verabschieden. Und, danke!«
Sie war auch aufgestanden. »Ja, dann. Ich danke dir.«
Sie begleitete mich in den Vorflur, wo ich meinen Mantel anzog und die Wohnungstür öffnete. Bevor ich hinausging sagte sie: »Dann meldest du dich, wenn du etwas herausfindest?«
»Wenn du willst?«
Sie nickte nur stumm, ohne noch etwas zu sagen. Ich nickte zurück, lächelte hilflos und war wieder auf dem Weg hinaus ins Tageslicht.
22
    Das Tageslicht kann befreiend sein, aber auch durchdringend und unbarmherzig wie eine Röntgenlampe. Ich war nicht in der Stimmung, durchleuchtet zu werden und folgte den Schattenreihen der Häuser zurück ins Zentrum. Es war an der Zeit, sich zu erkundigen, ob Konrad Fanebust mich empfangen würde.
    In einer an Helden armen Stadt war Konrad Fanebust einer der wenigen. Lebten wir in bombastischeren Zeiten, hätte vielleicht jemand auf der Torgalmenning einen Sockel errichtet und eine Statue von ihm dort aufgestellt. Es waren tatsächlich mehrere Bücher über seine Heldentaten und Aktionen während der Kämpfe 1940 und später im Widerstand während der Okkupation geschrieben

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