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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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aber um mich herum war es ganz still. Ich hörte Anita mit ein paar ihrer Puppen plappern, drinnen im Schlafzimmer, hörte das laufende Radio und das Geblubber von irgendwas auf dem Herd. Aber in mir drin war nichts weiter als eine schrille, ohrenbetäubende Stille.«
Sie verharrte über die Kaffeetasse gebeugt. Der eine Zeigefinger strich behutsam an der Kante entlang, wie der Schatten einer Liebkosung. Leise sagte sie: »Danach hab ich allein gelebt.« Sie sah fast wie in Trotz zu mir auf. »Ist es nicht lächerlich, wenn eine Frau von fast sechzig von Liebe erzählt?«
»Nein.«
»Du bist so jung und gehörst in eine andere Zeit. Heute ist alles anders. Die Leute hasten aus der einen Ehe in die nächste, finden nie Ruhe, haben es so eilig, zusammenzukommen, daß sie … Aber haben sie Zeit zu lieben, wirklich zu …? Vielleicht gehörte ich auch zu den Privilegierten, weil ich es erleben durfte. Holger – ich hatte ihn so lieb, daß er mich auf eine Weise erfüllte. Er erfüllte mich – ganz und gar – und als er nicht mehr da war, war da nur noch Leere. Ein Vakuum, in das nichts Lebendes hineinkommen konnte. Verstehst du … Diese Liebe, so wie ich sie erlebte, verbrauchte mein Bedürfnis nach – solchen Dingen. Den Rest des Lebens verwende ich, oder werde ich für Anita verwenden: für das, was mir von Holger geblieben ist.« Sie sah mich jetzt direkt an. »Seit damals habe ich keinen Mann angerührt, niemanden geküßt, nicht – gar nichts.« Und mit einem schwachen Lächeln fuhr sie fort: »Es war nicht einmal eine Entbehrung. Kannst du das verstehen?«
Ich sah in ihr Gesicht. Nicht geküßt seit 1953, nicht den Ausbruch in die Gefilde der Sinnlichkeit erlebt, weil es nicht mehr nötig war. Weil sie dort schon gewesen war. Es hörte sich romantisch an – und ein bißchen altmodisch. Es machte sie eigentlich älter als sechzig. Aber auf eine merkwürdige Weise fühlte ich, daß ich sie verstehen konnte, daß da eine Art Verwandtschaft war zwischen uns, die wir da jeder auf seiner Seite des kleinen Küchentisches saßen: Die Frau von fast sechzig, die seit 1953 nicht mehr geliebt hatte, und der Mann mit den ersten grauen Haarsträhnen und einer erst kürzlich hinter die Stirn geritzten großen Sehnsucht.
Ich fragte: »Was macht deine Tochter?«
»Anita … Sie arbeitet in einer Tagesstätte draußen in Loddefjord. Sie mag Kinder gern, hat aber selbst noch keine. Sie hat nicht geheiratet und wohnt hier, immer noch. Sie konnte eine kleine Wohnung unter dem Dach mieten und ißt meistens hier unten. Auf diese Weise ist da immer noch jemand, der zu mir nach Hause kommt.«
»Wie nahm sie den Verlust auf?«
»Das ist schwer zu sagen. Sie war ja so klein, als es passierte. Sie verstand wohl im Grunde nicht, was geschehen war. Aber sie konnte völlig hysterisch werden, wenn ich mal einen Abend ausgehen wollte. Das war, als hätte sie Angst, daß ich auch einfach so verschwinden würde wie ihr Vater. Aber ich denke oft, daß das, was später mit mir passierte, viel schlimmer für sie war – meine Nervenprobleme, weil es sich so ewig hinzog, bis wir die Lebensversicherung ausgezahlt bekamen und dann all das schmutzige Gerede, die Anklagen gegen Holger, die Untersuchungen, die nie zu etwas führten, Treffen mit Versicherungsleuten, Anwälten, Polizisten … Es war ein fünf-sechs Jahre langer Alptraum, bevor es endlich ruhiger wurde und wir wieder versuchen konnten, wie normale Menschen zu leben. Das, womit sie später zu kämpfen hatte, hat vielleicht damit zu tun.«
»Etwas Bestimmtes?«
»Nein, nein. Aber alle haben ja – gefühlsmäßige Probleme heutzutage, hab ich den Eindruck. Sie hat ihre Quote abbekommen. Ich glaube nicht, daß irgendein Kind ohne Narben aus einer Phase ohne einen Elternteil herauskommt, ob sie nun durch Scheidung oder Todesfall verursacht wird.«
»Das mag sein.«
»Aber vielleicht bin ich altmodisch.« Sie wurde still.
Ihre großen Brillengläser reflektierten das Licht von draußen und schufen eine Form von Ferne: als säße sie auf der anderen Seite eines Fensters und sähe mich an.
»Sag mal«, sagte ich, »hast du jemals mit Hellebust gesprochen, über das, was passiert ist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich schrieb ihm, mehrmals. Ich flehte ihn an, zu sagen, was wirklich passiert war: zuzugeben, daß Holger bei ihm war und sich über die Leckage beschwert hatte.« Ihr Ton wurde bitter.
»Er würdigte mich niemals einer Antwort.«
»Nein. Direktoren haben größtenteils eins

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