Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
hellblauem Hemd und perlgrauem Schlips. Er schrieb schnell und in langen Zügen mit dem Füllfederhalter.
Dann legte er den Federhalter weg, überflog die letzten Linien und machte ein paar stumme Mundbewegungen, bevor er die Blätter in eine Mappe und das Ganze zur Seite legte. Erst dann sah er wieder zu mir auf. Sein Blick war offen und direkt. Er rieb die Hände leicht gegeneinander und sagte: »So.« Dann erhob er sich hinter dem Schreibtisch und streckte die Hand über die Tischfläche aus, ohne sich um den Tisch herumzubewegen. Ich mußte aufstehen und mich über den Tisch vorbeugen, um ihm die Hand zu schütteln und fühlte mich unbeholfen dabei. Das war effektive Kundenbehandlung und ich notierte es mir für spätere Gelegenheiten. Wenn du von Anfang an die Oberhand behalten willst, dann bleib auf deiner Seite des Schreibtisches.
»Veum.«
»Fanebust.«
Wir grüßten kurz, wie Duellanten. Fanebust setzte sich als erster wieder. Er besaß die Initiative, daran war kein Zweifel.
»Sie sagten zu Frau Larsen, es ginge um den Tod meines alten Freundes Hjalmar Nymark?«
»Ja. Ich war selbst ein Freund von … Sie waren nicht bei der Beerdigung?«
»Nein, leider nicht. Ich war in Athen und sah es erst in der Zeitung, als ich zurückkam. Es war traurig, ich wäre gerne dort gewesen. Wissen Sie – wenn alte Freunde auf diese Weise sterben, dann hat man immer das Gefühl, sie vernachlässigt zu haben, und das hat man in gewisser Hinsicht ja auch. Man hätte sie öfter besuchen sollen, nur dann ist es plötzlich zu spät, und was einem bleibt ist nur ein schlechtes Gewissen. – Nun war es allerdings einige Jahre her, daß Hjalmar Nymark und ich gemeinsame Aufgaben hatten, aber ich habe immer versucht, den Kontakt zu den Jungs von damals aufrecht zu erhalten. Zu denen, die noch übrig sind.«
Er sah mich verständnisinnig an. »Aber lassen wir das. Erzählen Sie mir, weshalb Sie hier sind.«
»Ich bin aus zwei Gründen hier – oder dreien. Hauptsächlich aufgrund gewisser Umstände in Zusammenhang mit Hjalmar Nymarks Tod …«
Er hob die Augenbrauen als Kommentar.
»Und außerdem bin ich hier wegen des Brandes bei Pfau und eines Mannes, den sie ›Giftratte‹ nannten.«
Ich ließ die Worte in Ruhe einsinken. Seine Augenbrauen senkten sich wieder, aber das Gesicht verriet gar nichts. Er besaß das dem erfahrenen Politiker und Geschäftsmann angeborene Pokerface. Alles, was er sagte, war: »So …«
Äußerst kurz referierte ich, was Hjalmar Nymark mir über den Brand bei Pfau, die Ermittlungen danach und den Verdacht gegenüber Harald Wulff erzählt hatte. Zum Schluß sagte ich, das ganze abrundend: »Also mit anderen Worten … Ich bin hauptsächlich hier, um bestätigt zu bekommen, was Hjalmar Nymark erzählte – und außerdem eventuell, um zu erfahren, ob Sie noch mehr erzählen können, was Hjalmar Nymark vergaß, oder nicht wußte.«
Ich hob eine Hand, um anzudeuten, daß er das Wort hätte.
Er betrachtete mich reserviert. »Sagen Sie mir erst, wen Sie repräsentieren und um was für Umstände im Zusammenhang mit Hjalmar Nymarks Tod es sich handelt. Sind Sie Journalist?«
»Ich bin Privatdetektiv, aber ich bin hier als Hjalmar Nymarks letzter Freund, um es mal so auszudrücken. Er war ein einsamer Mann, zuletzt.«
»Privatdetektiv?«
»Ja, aber, wie gesagt – es hat mich niemand engagiert. Ich bin aus eigener Initiative hier, und was die mysteriösen Umstände betrifft …«
Ich griff von der Seite her an. »Glauben Sie, daß ›Giftratte‹ tot ist?«
Er schien erstaunt. »›Giftratte‹? Tja. Nun bekamen wir ja unseren Verdacht nie bestätigt und ich bezweifle, daß das jemals geschehen wird. Ich erinnere mich, in der Zeitung gelesen zu haben, daß Wulff tot sei; das ist nun schon einige Jahre her.«
»Das war 1971.«
»Soso. Das kann stimmen.«
»Wie stark war euer Verdacht gegenüber Wulff?«
Er lehnte sich im Stuhl zurück, steckte die Daumen in die Westentaschen und starrte auf einen Punkt irgendwo über meinem Kopf. Der Blick war gedankenvoll. Er sagte: »Das ist viele Jahre her, Veum. Wenn ich jetzt daran zurückdenke.«
Sein Blick kam wieder herunter. »Aber es gelingt mir nicht oft, die Gedanken daran zu vermeiden. Ich trage noch immer die Narben der Verletzungen, die ich im Krieg bekommen habe, und die Nächte können noch immer quälend sein.«
Dann glitt der Blick wieder nach oben, als befände sich dort über meinem Kopf die Vergangenheit. »Ich durchlebe immer noch wieder die Untersuchungen –
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