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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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können.«
Ich nickte. »Und am Tag danach …«
Mit plötzlicher Heftigkeit stieß sie hervor: »Am Tag danach ging er zur Leitung und gab Bescheid!«
Dann wurde sie ruhiger. »Es war ein komischer Tag. Ich weiß es noch wie … Es war April und es war richtig typisches Aprilwetter. Im einen Augenblick schien die Sonne, im nächsten goß es in Strömen. Ich hatte eingekauft, und als es auf dem Nachhauseweg zwischen den Schauern aufklarte, machte ich eine etwas weitere Runde durch Nordnes. Ich weiß nicht, ob du erinnerst, wie es zu der Zeit hier aussah?«
»Doch, doch.«
»Die Brandstellen nach den Bombenangriffen. Die rotbraunen Reste der Grundmauern und dann die neue Vegetation darüber. Ich sehe noch die sonnengelben, molligen Weidenkätzchen an dem Tag. Die Büsche waren voll davon. Und die Sonne wärmte, der Wind kam in plötzlichen Stößen und zerzauste dein Haar. Anita saß in der Karre und ich dachte: Gottseidank, endlich wird es Frühling. Es würde ein herrlicher Sommer werden, mit dem kleinen Kind und diesem lieben Mann. Wie die glücklichste Frau der Welt kam ich mir vor. – Und genau an dem Tag kam er zum Abendessen nicht nach Hause.«
»Nein?«
»Nein, und das war noch nie vorgekommen. Er kam nie zu spät, sondern immer … Ich hatte Eintopf gekocht und weiße Sagogrütze mit roter Soße zum Nachtisch. Ich rief in der Fabrik an, aber dort konnten sie mir nichts anderes sagen, als daß er zur gewohnten Zeit gegangen sei. Erst so gegen acht kam er nach Hause und da hatte ich noch nicht einmal Anita ins Bett gekriegt. Sie war so unruhig. Ich hörte ihn unten auf der Treppe, er kam schwerfällig herauf. Fummelte am Schloß herum. Ich saß drinnen in der Stube im Dunkeln. Er ging erst hier rein und ich sah ihn ganz deutlich im Licht bevor er zur Tür herüberkam und mich entdeckte. Er … Die Unterlippe war vorgeschoben, wie bei einem schmollenden Kind. Das Haar war wirr und er ging auf eine merkwürdig schlenkernde Weise. Als er zur Tür kam, blieb er stehen und lehnte sich in den Rahmen und das schlechte Gewissen leuchtete aus seinen Augen. Ich hatte ihn nie vorher so gesehen. Mir war klar, daß er getrunken hatte und er stank nach Bier. Alles, was er sagte, war: Sie wollten nicht auf mich hören. ,Wer?’ fragte ich, irritiert vor Sorge. ›Die Leitung‹, sagte er, fast fauchend. Später, als wir Anita endlich im Bett hatten und ich ihm einen Kaffee gekocht hatte und wir in der Stube sitzen und uns wieder beruhigen konnten … Da erzählte er, daß er zur Betriebsleitung gegangen war und sie von seinem Verdacht unterrichtet hatte. Doch die Leitung hatte ihn abgewiesen und gesagt, sie würde es überprüfen, aber ein Produktionsstop käme gerade jetzt überhaupt nicht in Frage.«
»Sagte er, mit wem er gesprochen hatte?«
»Wenn er sich schon so ausdrückte, wenn er nichts weiter sagte als die Leitung, dann konnte es sich nur um einen Mann handeln.«
»Und das war?«
»Hellebust. Der Direktor.«
»Der später abstritt, daß dein Mann überhaupt irgendwas gesagt hätte.«
Es funkelte in ihren Augen. »Ja. Ganz genau!« Die kleinen Fäuste ballten und öffneten sich und an den Schläfen traten plötzlich die Adern hervor.
»Und am Tag darauf …« Sie mußte tief durchatmen. »Am Tag darauf …« Tränen traten in ihre Augen und ihre Stimme war belegt. »Am Tag darauf hörte das Leben auf – auch für mich, Veum.«
Ich nickte stumm.
»Und es war ein wirklich schöner Frühlingstag! Keine Regenschauer. Die Sonne strahlte, aber ich war besorgt als er ging, wegen allem, was am Tag vorher passiert war. Er hatte etwas Verbissenes, Verbittertes, als er ging und ich fühlte mit ziemlicher Sicherheit – ich machte mir solche Sorgen, weil ich …«
»Weil du …?«
»Ich werde immer – bekomme immer Angst in Konfliktsituationen. Und an dem Tag war ich davon überzeugt, daß Holger sich entschlossen hatte, zu streiken, die Leute zum Streik aufzurufen – wenn die Leitung nicht nachgab.«
»Aber weißt du denn …«
»Nein, ich weiß nicht, was passierte, denn an dem Tag war Hellebust ja in Oslo, mit ihm konnte er also auf keinen Fall gesprochen haben – und dann … Als sie anriefen und erzählten …« Sie schluckte und schluckte.
»Ich stand mit dem Telefon in der Hand und war völlig gelähmt. Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nichts sagen. Ich ließ nur den Hörer fallen – sah ihn baumelnd da hängen. Ich konnte noch nicht einmal schreien. Ich war stumm, öffnete den Mund und mein Körper schrie,

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