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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Die großen Fenster bestanden aus doppeltem Thermopenglas, und die isolierten in beide Richtungen.
    Ich trat ganz ans Fenster heran und näherte mich behutsam dem offenen Feld zwischen den Gardinen. Ich bewegte mich vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter und hielt den Kopf nach hinten und den Körper so flach wie möglich an die Scheibe.
    Jetzt war ich an der Kante des Vorhangs. Indem ich den Kopf langsam herumdrehte, konnte ich schräg in den Raum hineinsehen.
    Die Beleuchtung war unruhig und flackernd. Ein paar diskrete Leuchter waren das einzig ruhige Element dort drinnen. Auf einem großen Eßtisch stand ein siebenarmiger Kerzenleuchter mit hohen weißen Kerzen. Die Flammen flackerten gegen die hohen, schmalen Stuhlrücken. Die Stühle waren leer.
    Ich schob den Kopf noch ein Stück weiter vor.
Das Licht wurde stärker, rot und golden. Jetzt sah ich den weißgekalkten Kamin. Die Oberfläche war rauh. Vor dem Kamin standen drei hohe Lehnstühle und ein flacher Tisch mit einem breiten Sofa davor, alles in einem warmen, roten Samtstoff. Auf dem flachen Tisch standen ein Eisbehälter, Flaschen voll tanzender Kohlensäure und eine Auswahl der teuersten Brandweinsorten. Um den Tisch herum, im Licht des Kamins, saßen sechs Menschen.
Einen von ihnen kannte ich. Mit geradem Rücken und klarem Profil vor der Kaminwärme saß Carsten Wiig und hörte zu. Ihm am nächsten saß eine junge Frau, schön, wie die meisten vor tanzenden Flammen werden, aber mit einer großen Brille und einem etwas zu starren Lächeln auf den hochgezogenen Lippen. Zwei Frauen saßen in ein vertrauliches Gespräch vertieft für sich in einer Ecke. Die eine war Ende sechzig und weißhaarig. Die andere war beträchtlich jünger, mit sonnenverbranntem Gesicht und ausgeblichenem Haar.
Der eine der beiden älteren Männer im Raum war ein dicklicher, leicht aufgedunsener Typ mit gerötetem Gesicht und gelblichweißem, dünnem Haar, das glatt nach hinten gekämmt war. Der andere war Hagbart Helle.
Hagbart Helle saß in scharfem Profil gegen die weiße Wandfläche. Ich hätte ihn nicht wiedererkannt, wenn nicht die undeutliche Fotografie gewesen wäre, die Ove Haugland mir gezeigt hatte.
Es war etwas Raubvogelartiges und Skrupelloses an dem mageren, sehnigen Gesicht, der großen, adlerartigen Nase, den stechenden, dunklen Augen und dem ausgeprägt straffen Zug um Mund und Kieferpartie. Er gehörte zu denen, die immer wachsam waren, jede Unregelmäßigkeit registrierend – und jede Verdienstmöglichkeit. Die Haut war sonnenverbrannt und rotbraun, aber die Falten waren deutlich sichtbar und er wirkte älter, als ich gedacht hatte. Es war, als ginge mir erst in diesem Augenblick auf, daß Hagbart Helle in Wirklichkeit ein alternder Mann war, dreiundsiebzig Jahre alt. Die Karrierejagd und der Erfolg hatten ihn sicher abgehärtet, aber die Zeit konnte er niemals aufkaufen. Die Jahre holen uns alle ein, Reiche wie Arme.
Dann entdeckte ich, daß da drinnen noch ein lebendes Wesen war. Vor dem Kamin hob plötzlich ein großer, schwarzer Dobermann den Kopf und horchte. Hatte er mein Herz schlagen hören? Oder hatte er plötzlich von etwas Fremdem Witterung bekommen, von etwas, was da nicht sein sollte?
Dennoch war es nicht der drohende Hundekopf, der mich zurückhielt.
Nur ein Glasfenster trennte mich von Hagbart Helle, aber auf einmal begriff ich, daß es nutzlos war. Die Glasscheibe zwischen uns war nur eine symbolische Trennwand, aber sie hätte ebensogut aus Beton sein können.
Die Menschen dort drinnen in ihren maßgeschneiderten Kleidern, mit ihren teuren Trinkgewohnheiten, ihren mahagonibraunen, samtbezogenen Möbeln, ihren massiven silbernen Kerzenleuchtern, mit ihren Tausendtonnern auf schweigenden Meeren, von den Tropen bis nach Alaska, mit ihren Bankkonten in der Schweiz, Ferienhäusern auf den Seychellen und Orchideengärten rund um ihre Häuser in der Karibik: sie waren außerhalb meiner Reichweite.
Menschen wie Stauer-Johan, ›Brandstelle‹, Riesen-Olsen und ihresgleichen, die konnten eine Flasche Bier oder zwei klauen, und wenn sie die Tat wiederholten, setzte man sie hinter Schloß und Riegel. Menschen wie Hagbart Helle konnten Fabriken stillegen, konnten wirtschaftliche Transaktionen tätigen, die normale Menschen als Schwindel bezeichnen würden, wenn sie sie überhaupt verstanden, oder den größten Teil ihres Einkommens unter zahllosen Pseudonymen in unsichtbaren Investitionen anlegen, in unzähligen Scheinfirmen über die ganze Welt

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