Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
an. »Was hilft denn das schon, jetzt noch? Aber, trotzdem danke.«
»Ich komme wieder, wenn ich unwiderlegbare Beweise dafür habe«, sagte ich mit fester Stimme. Mir fiel auf, daß ich wenn gesagt hatte, und nicht falls, und ich wußte, daß ich nicht log. Und wenn ich bis in die Hölle hinunter müßte um Harald Wulff von dort heraufzuholen, ich würde herausfinden, was damals wirklich passiert war. Um Anitas und ihrer Mutter willen. Und ich hatte immer stärker das Gefühl, daß ich so weit gar nicht gehen mußte.
Die Abrechnung rückte näher, langsam aber sicher, für wen auch immer. Viele Jahre zu spät, aber trotzdem …
Draußen hatte es zu dämmern begonnen. Die Konturen verwischten. Und bei Nacht kommen die Wölfe hervor: sowohl die, die im Rudel jagen, als auch die einsamen Jäger.
37
Die Dunkelheit fiel jetzt schnell, und in den großen Villengärten gingen die Lichter an. Ihr Schein fiel flach über Gärten mit feuchter Erde unter dem herbstlichen gelben Gras. Wenn die Sonne weg war, wurde es schnell kalt.
Ich parkte dieses Mal in sicherem Abstand, eine Seitenstraße weiter und ging das letzte Stück zu Fuß zum Haus von Hagbart Helles Bruder. Ich folgte dem Weg entlang der Hecke, um mich außerhalb des Blickfelds vom Haus aus zu halten.
Die Hecke, die den Garten vom Weg trennte, war dicht und dornig. Das Eisentor war an zwei soliden Natursteinsäulen befestigt, die in die Hecke hineingebaut waren.
Ich ging in die Hocke und betrachtete das Tor eingehend. Trotz des Schildes war auch jetzt kein Hund zu sehen. Ich versuchte, zu erkennen, ob es am Tor vielleicht eine Alarmvorrichtung gäbe, aber ich fand keine sichtbaren Abzeichen dafür. Trotzdem war ich noch lange nicht sicher.
Ich ging am Tor vorbei und an der Hecke entlang weiter. Die Nachbarvilla lag ungeschützter, hinter einem niedrigen Holzzaun, den auf der Innenseite Rosenbüsche zierten. Die Hecke von Direktor Hellebust führte weiter um das Grundstück herum. Nachdem ich mich ausführlich umgesehen hatte, stieg ich über den Zaun und ging weiter an der Hecke entlang, auf der Rückseite der Garage dahinter.
Die Hecke war noch immer gleich dicht. Hinter dem Grundstück neigte sich die Böschung langsam zum alten Eisenbahndamm hinunter, der seit langem unbefahren war. An einer Stelle war eine Vertiefung im Boden, wie von einem alten Bachbett. Dort entstand plötzlich ein kleiner Hohlraum unter der Hecke.
Ich sah mich um. Es war merkwürdig still. Oben am Himmel, zwischen den zerrissenen Wolkenformationen, hatten die Sterne Löcher in die schwarze Wölbung gestochen. Løvstakken streckte sein schmales Profil nach Westen, und über den Bergrücken konnte ich eine Abendmaschine zur Landung auf Fiesland ansetzen sehen, lautlos, fast wie eine Vision.
Ich ging in die Hocke, beugte den Nacken und presste mich unter der Hecke hindurch – und befand mich auf dem Grundstück. Ich blieb ruhig stehen und lauschte, gebeugt.
Es kamen schwache Laute vom Haus, das hinter ein paar Obstbäumen und einer Gartensitzecke lag, die aus Tisch, Korbstühlen und weißen Fliesen bestand. Kein Wachhund kam zähnefletschend auf mich zu, kein hitziges Bellen verkündete, daß sich ein Unbefugter näherte.
Ich richtete mich vorsichtig auf und ging in einem Halbkreis zum Haus hinunter. Ich erreichte die seitliche Hauswand. Über mir war eine Reihe von Fenstern; zwei davon waren völlig dunkel, aus dem dritten schien ein warmes, flackerndes Licht, wie von einem Kaminfeuer. Es war das Fenster, das der Vorderfront am nächsten lag und ich nahm an, daß es zum Wohnzimmer gehörte.
Das Fenster lag über Kopfhöhe, und ich ging darunter vorbei bis zur Ecke. Ich sah um sie herum. Die schiefergedeckte Terrasse lag in das Licht getaucht, das durch die großen Gartenfenster fiel. Eine mit Steinbeetblumen bepflanzte Böschung führte zur Terrasse hinauf. Als ich den Kopf noch ein Stück weiter vorstreckte, sah ich, daß die schweren, braunen Samtvorhänge teilweise vorgezogen waren. Wahrscheinlich würde ich ungesehen zu den großen Fenstern hinaufkommen können.
Ich bewegte mich vorsichtig durch das Beet nach oben, vermied es, auf den Steinen zu gehen und kümmerte mich nicht darum, daß ich ein paar Blumen zertrat.
Oben auf der Terrasse blieb ich stehen und atmete durch den offenen Mund. Ich hatte richtig gesehen. Die Vorhänge verbargen mich. Niemand rief hinaus. Aber ich hörte die Stimmen durch das Glas, monoton und konturlos, ohne einzelne Worte unterscheiden zu können.
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