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Im Dutzend vielfältiger

Im Dutzend vielfältiger

Titel: Im Dutzend vielfältiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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Kraft mehr.
    Eine Krähe zog an ihr, es schmerzte sehr. Sie zupfte sie aus dem staubigen Boden, schleppte sie ein Stück mit und ließ sie fallen. Sie landete inmitten der saftigen Wiese, umarmt von ihren bunten Schwestern und Brüdern. Es roch gut. Die Luft war feucht und schattig. Ein schöner Tod. Tau, der sich in den Kelchen der großen Tulpenköpfe gesammelt hatte, kippte wie eine warme Dusche über sie. Sie japste gierig danach. Das Wasser durchnässte ihre trockenen Arme, ihren Körper, ihren Blütenkopf und ihre Wurzeln.
     
    Eine Woche später.
    Sie reckte die neu gewachsenen grünen Blätter gen Himmel und streckte ihren gelben Blütenstaubkopf, der von dunkelroten Blütenhaaren umrankt war, der Sonne entgegen. Sie liebte die Sonne. Sie liebte den Wind, den Schatten und den Morgentau. Auf der rechten Seite hing, direkt neben den abgestorbenen Wurzeln, ein ockerfarbenes Blatt verdorrt an ihrem Körper herunter. Es erinnerte sie an ihre Einsamkeit und daran, dass sie mit wenig Kraftaufwand in die fruchtbare Richtung hätte wachsen können.
    Den Krähen winkte sie freundlich zu, auch wenn sie ihr keine Beachtung mehr schenkten. Am Abend und in den frühen Morgenstunden tanzte sie mit ihrer neuen Familie im Wind, wiegte sich im Gras und freute sich über ihr Leben. Nie mehr würde sie vergessen, wie dumm sie gewesen war!

Vom Erlangen der Zufriedenheit
    (2010)
     
    Ich starb als mittelloser Fremder in der Stadt, in der ich Berühmtheit erlangte.

     
    Viele Jahre ließ ich mich verführen von der Leichtigkeit, die mir das Leben schenkte. Geld rann mir wie zu dünn angerührte Farbe durch meine Finger. Ich liebte die Schönheit – vor allem die der Frauen –, ahnte jedoch nicht, was Liebe bedeutete. Liebe. Wahre Liebe. Worte, die aus dem Mund eines Dichters gesprochen wie Honig schmecken müssten. Ich war kein Dichter und leckte die Süße des Honigs nie von meinen Lippen. Meine Leidenschaft galt der Malerei, der ich, mit wachsender Unzufriedenheit, wie der Liebe zu einer Frau verfiel. Lange Jahre ein süßer Ruhm, der am Ende jedoch bitter schmeckte.
     
    Als ich am 05. April 1732 das erste Mal die kloakenschwangere Luft von Grasse einatmete, die aus dem Sträßchen de la Font-Neuve durchs Fenster wehte, und meinen Eltern mit einem Schrei meinen Lebenswillen kundgab, galt mein Weg alles andere als vorbestimmt. Die revolutionären Ideen meines Vaters brachten ihn, als ich ein kleiner Bub war, um den guten Ruf, den er sich als Handschuhmacher erarbeitet hatte. Wir flüchteten nach Paris auf der Suche nach Anerkennung und finanzieller Sicherheit, wie ich mit fortschreitendem Alter gewahr wurde. Mit sechs Lenzen interessierten mich weder Geld noch Ruhm, aber das änderte sich.
    Als ich alt genug war, weigerte ich mich, bei meinem Onkel, einem Parfumeur in Grasse, der zwischen vielen seines Fachs kaum zu bestehen vermochte, zu arbeiten. Obgleich ich den Wohlgerüchen zugeneigt war, gewann ich der Herstellung der Wässerchen nichts ab.
    Lieber jagte ich den jungen Mädchen hinterher, feierte in den Nächten und hoffte am Tage auf Großes, das mir als Talent in die Wiege gebettet worden war. Nicht, dass ich danach suchte oder mit Euphorie daran werkte – an diesem Großen. Ich wartete, malte unbeachtet vor mich hin und ließ mich vom Tag treiben. Ich sprühte vor Energie, wusste sie aber nicht gezielt einzusetzen.
    Ein Versuch, mich zu bändigen – mein Vater stellte mich einem Notar vor – schlug fehl. Gesteuert von Größenwahn und Neugier , schritt ich durch die Straßen von Paris.

     
    Ich betätigte mich als Voyeur bei den Badenden Mädchen, wanderte durch den Kleinen Park und die Baumallee entlang.

     
    Ich tummelte mich am Wasserplatz , beobachtete das heimliche Treffen einer Jungen Frau und ihres gekrönten Liebhabers.

     
    Ich besuchte Schausteller auf dem Jahrmarkt und lauschte den Klängen eines italienischen Gitarrenspielers, der für drei tanzende Mädchen spielte.

     
    Ich suchte nach Erfahrungen, die meinen Geist anregten.
    Wie unerlässlich mein gottloses Leben in diesen jungen Jahren sein sollte, würden meine Eltern erst später verstehen lernen.
    Nachdem König Ludwig am 14. Oktober 1750 – ich erinnere mich daran, wie an meinen Todestag - das Luxembourg zur freien Besichtigung öffnen ließ, wusste ich, welcher Berufung ich nachzugehen gedachte. So wurde ich ein Bewunderer des elf Jahre vor meiner Geburt verstorbenen Antoine Watteaus, der mehr war als ein Maler – er war ein Meister!

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