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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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wurde?«
    »Ich habe zufällig Staatsanwalt Lorusso getroffen. Er hat mich nach meiner Meinung gefragt. Du weißt ja, dass ich in meinen Anfangsjahren auch ein paar Monate in Südtirol eingesetzt war. Er hat mich nach einem eventuell terroristischen Hintergrund gefragt. Der Mann ist zu jung, als dass er mit der Geschichte vertraut sein könnte, und mit seiner Allgemeinbildung ist es auch nicht weit her. Er macht zwar Urlaub dort oben, aber außer Wellnesscentern und Wanderwegen kennt er nichts.«
    Vor Jahren hatte Galvano von seinen Anfängen im Staatsdienst erzählt. Der in Boston gebürtige Italoamerikaner Galvano war als blutjunger Arzt mit der U.S. Army bei Kriegsende nach Triest gekommen, wo er ohne jegliche Erfahrung die Opfer der Abrechnungen zwischen Kommunisten und Faschisten in Augenschein nehmen musste. In Triest hatte er geheiratet, dort waren seine Kinder geboren, die längst in Amerika lebten, und dort hatte er vor vielen Jahren auch seine Frau begraben. Mitte der Fünfziger wurde Galvano vorübergehend nach Bozen versetzt, als der Staat als Reaktion auf die Bombenanschläge ganze Carabinieri-Einheiten und Polizisten dorthin verlegt hatte.
    »Ich habe Spechtenhauser nur flüchtig gekannt«, sagte Galvano. »Bei einem, der nicht wusste, wohin mit dem Geld, spielt die Vergangenheit doch keine Rolle mehr. Mit seinen Geschäftsmethoden hat er sich die Gegenwart erkauft. Da musst du suchen.«
    Laura rief die Gäste zu Tisch. Ihre Mutter hatte sich blitzschnell auf den Stuhl an der Stirnseite gesetzt und schaute nun ungeduldig zur Küchentür. Laurenti sicherte sich den Stuhl auf der gegenüberliegenden Seite und hielt sich damit den Fluchtweg offen. Zu seiner Linken saß Galvano, zur Rechten blieb Livias Platz frei, und ein junges, sympathisches Zahnärztepaar, das nur ein paar Häuser weiter an der Küste wohnte, bildete einen verlässlichen Schutzwall zu Lauras Freundinnen. Laurenti kannte die beiden aus seiner Stammbar an der Piazza San Giovanni und war froh darüber, dass seine Frau sie eingeladen hatte.
    Als Marco die Vorspeise servierte, einen Salat von feinen Scheiben roher weißer Spargelköpfe und dünnen Parmigiano-Streifen mit ein paar Tropfen Zitrone und Olivenöl angemacht, wurde er mit Applaus empfangen. »Alles rein vegetarisch heute«, verkündete er arrogant. »Im Moment ist Spargel- und Erdbeersaison. Sonst nichts.«
    »Roher Spargel?«, hob seine Großmutter an, doch unter Lauras Blick verstummte sie.
    Trotz des leichten Essens servierte Marco nach jedem Gang ein Sorbet: Dem Spargelsalat folgte ein weißes Spargelsorbet, das Flavia mit dreimaligem Löffeln verputzte, der Spargelcreme ein Sorbet aus grünem Spargel und Erdbeeren mit einem Minzblättchen obenauf, dem gratinierten Spargel ein pikantes Sorbet von grünem Spargel mit schwarzem Pfeffer. Die gedämpften, besonders schönen weißen Spargelstangen kamen an einer Salsa Mimosa auf den Teller. Flavia schaute sie bewundernd an und zierte sich, diese Kunstwerke der Natur mit dem Messer zu zerkleinern. Sie spießte sie nur zart mit der Gabel auf, um sie zum Mund zu führen. Geräuschvoll lutschte sie an ihnen, was Lauras Freundinnen genüsslich kommentierten. Das Dessert bildeten Eiskugeln von weißen und grünen Spargeln mit frischen Erdbeeren. Der ambitionierte junge Koch hatte sie ganz kurz in einer heißen Pfanne gewendet und mit einem Schuss Aceto Balsamico abgeschmeckt.
    Wie in einer perfekten Inszenierung ließ ein greller Blitz, dem umgehend ein scharfer Donnerknall folgte, das Licht im Raum flackern, als Marco an den Tisch trat, um sich für seine Kochkünste feiern zu lassen. Der Regen prasselte von Sturmböen getrieben gegen die Fenster. Das Gewitter schien sich direkt über dem Haus zu entladen.
    »Wo hast du eigentlich diesen köstlichen Spargel her?«, fragte die reizende Zahnärztin.
    »Von einer Freundin meiner Chefin aus dem Lavanttal in Kärnten. Er ist der beste. Endlich einmal habt ihr gesund gegessen. Und gut für die Figur ist er auch«, sagte Marco und schenkte Flavia ein anzügliches Lächeln. »Er besteht zu neunzig Prozent aus Wasser.«
    »Bei dem Wasser draußen kann man nicht einmal das Toilettenfenster öffnen«, meckerte seine Großmutter.
    »Ist deine Ausbildung nicht bald zu Ende?«, fragte Raissa. »Was machst du danach?«
    »Ich heuere auf einem Kreuzfahrtschiff an.«
    Laura und Proteo rissen die Augen auf. Ihr Sohn hatte zu Hause noch nie viel über seine Pläne gesprochen. Schon für die Ausbildung zum

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