Im Fadenkreuz der Angst
stürzen.
Und ich sehe, wie Mom mich erschrocken anstarrt.
Beschämt erwidere ich ihren Blick. Ich schäme mich, weil ich sie belogen habe, weil meinetwegen die Polizei ins Haus gekommen ist, weil ich die Tür zueinem Raum geöffnet habe, vor dessen Betreten wir uns alle fürchten.
Dann renne ich. Renne nach unten in mein dunkles Kellerzimmer. Verkrieche mich in meine Decken. Begrabe den Kopf unter meinem Kissen.
Aber egal, wie sehr ich mir die Hände auf die Ohren presse oder die Augen zukneife, die Welt verschwindet nicht.
15
Gegen Mitternacht melden sich Andy und Marty per SMS. Auch bei ihnen war die Polizei. Aber sie sind nicht zu Hausarrest verdonnert worden. Andys Mutter war mit Xanax-Tabletten und Wodka zugedröhnt. Erst hat sie Schlaks dauernd erzählt, wie gut er in seiner Uniform aussieht, und dann hat sie Narbengesicht tatsächlich gefragt, woher seine Narbe stammt. Es war Batteriesäure, die er während einer Razzia bei einem illegalen Autoschrauber ins Gesicht bekommen hat.
Bei Marty hat sich erst mal Mr Bubbles auf Schlaks’ Knöchel gestürzt. Sobald die Bullen weg waren, ist Martys Mutter richtig ausgeflippt. Aber Martys Vater hat sie daran erinnert, wie sie beide nach ihrer Schulabschlussfeier wegen Nacktbadens in einem öffentlichen Schwimmbad festgenommen worden waren, und hat dann voller Begeisterung weiter von ihrer Jugend geschwärmt. Ich kann mir meine Eltern nichtbeim Nacktbaden vorstellen. Nackte Eltern? Da würde ich lieber blind werden.
Jedenfalls, bei Johnsons und Pratts ist alles cool. Bei Sabiris – ganz und gar nicht.
Dad spricht nicht mit mir. Weder beim Morgengebet noch beim Frühstück noch auf der Fahrt zur Schule.
Zehn vor acht sind wir im Büro. Mr McGregor erklärt Dad, dass ich mich am Freitag unerlaubt entfernt hätte, als ich ins Büro gerufen wurde. Der Vorfall auf dem Roosevelt-Weg werde überprüft werden, sagt er, aber von einem Eintrag im Schülerbogen würde er wenn möglich absehen wollen.
Dad entschuldigt sich für mein Verhalten. »So haben wir ihn nicht erzogen. Falls er wieder auffällig werden sollte, lassen Sie es uns bitte sofort wissen. Meine Frau und ich werden jede schulische Maßnahme unterstützen.«
Ich möchte schreien, was für ein Müll das alles ist, aber wozu? Eddy kann ohne Ende jede Menge Scheiß bauen, sein Vater wird ihn immer raushauen. Mein Vater würde das nie tun. Der glaubt ja nicht mal die Wahrheit.
»Meine Frau und ich wissen Ihre Bemühungen um unseren Sohn zu schätzen«, sagt er, so steif und ernst, als wäre er auf einer Beerdigung. »Es ist schon ein Schock, wenn das eigene Kind …« Er hält inne, besinnt sich. »Wir werden dafür sorgen, dass er Ihnen keine Probleme mehr macht.« Er versucht noch einmal, mich anzusehen, schafft es aber nicht. Er geht aus dem Büro, als wäre ich tot.
Ich überlebe den Vormittag. Aber als ich die Cafeteria betrete, wird mir mulmig. Eddy und seine Kumpels lehnen sich über den Tisch und gaffen mich an. Zum ersten Mal bin ich froh, dass Mom mich zwingt, halal zu essen. Also brauche ich mich nicht bei der Essensausgabe anzustellen und bin aus der Schusslinie.
Ich gehe zu meinem Platz hinten in der Ecke, wo die Gurkentruppe isst. Wir beeilen uns immer mit dem Essen, damit wir uns in die Bibliothek verziehen können, bevor zusammengeknüllte Papiertüten durch die Gegend fliegen. Doch heute haben sich alle außer Mitchell verdrückt. Und der hat die Nase in sein Buch gesteckt und tut so, als würde er mich nicht sehen.
Als ich zu meinem Platz komme, weiß ich warum. Da hat jemand in den Tisch geritzt:
SABIRI ÄZZT
Die Buchstaben sind mit Filzer nachgezeichnet. Das kriegt man nie weg. Das wird ewig da stehen.
Mir ist kotzübel. Klar, ich wusste immer, dass sie mich nicht leiden können. Aber jetzt ist es öffentlich. Das kann jeder sehen. Ich muss hier weg. Sofort. Sie dürfen mich nicht weinen sehen.
Ich drehe mich um und will gehen. Eddys Trupp steht auf. Grinsend. Ich setze mich. Die setzen sich auch. Die ganze Mittagspause über versuche ich, weder an die Schrift unter meiner Essenstüte noch an Eddy und seine Kumpels zu denken, die von der anderen Seite der Cafeteria zur mir rüberglotzen.
Es klingelt. Ich sause durch die Schwingtür undschaffe es bis zum Naturkunderaum, ohne dass Eddy mich kriegt.
Ich bekomme nichts von dem mit, was Mr Carson sagt. Ich konzentriere mich auf seinen Bart mit dem Klecks Joghurt, der vom Mittagessen daran hängen geblieben ist,
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