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Im Fadenkreuz der Angst

Im Fadenkreuz der Angst

Titel: Im Fadenkreuz der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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zu Hause bin ich in Sicherheit, denke ich.
    Bin ich aber nicht.

14
    Dad ist schon da, als ich komme. Die Vormittagsbesichtigung des neuen Hochsicherheits-Biolabors in Toronto ist abgesagt worden und er hat einen früheren Flug genommen. Im Wohnzimmer liegen eingewickelte Geschenke. Schlechtes Gewissen?
    »Tolle Konferenz, tolle Stadt«, sagt Dad. »Da fahren wir bald mal hin.« Klar. Und dann stellst du mir auch gleich deine Freundin vor.
    »Wie war dein Vortrag?«, frage ich mit Unschuldsmiene.
    Dad zögert nicht einen Augenblick. »Großartig, danke. Auggie hat mich gestern Abend angerufen und mir gesagt, dass ihm nur Gutes zu Ohren gekommen ist.«
    »Also ist Mr Brandt aus dem Krankenhaus raus?«
    Dad wirft mir einen verwunderten Blick zu. »Er war gar nicht im Krankenhaus. Ich glaube, es waren Gallensteine. Möge uns so etwas erspart bleiben, inschallah.«Dad ist aalglatt. »Kommt, macht eure Geschenke auf.«
    Mom bekommt Bodylotions und verschiedene Badeöle, mit Aprikose, Lavendel und Eukalyptus. Sie lässt uns dran schnuppern. Alles aus Frankreich. Wie praktisch, dass es Duty-free-Shops gibt.
    Ich mache mein Geschenk auf: Ein marineblauer Kapuzenpulli, auf dem vorne in großen Buchstaben TORONTO steht. »Toll, danke!« Ich lege ihn zur Seite.
    »Willst du ihn nicht anprobieren?«
    »Warum? Ich war doch gar nicht in Toronto.«
    »Sami!« Mom wirft mir einen scharfen Dein-Vater-ist-gerade-nach-Hause-gekommen-er-gibt-sich-Mühe also-benimm-dich-Blick zu.
    »Tut mir leid.« Ich seufze. »Er ist super. Bin bloß müde, weiter nichts.« Dann ziehe ich das Teil an und lächle und Dad macht Fotos von uns dreien in jeder nur möglichen Aufstellung. Er hört erst auf, als Mom erwähnt, dass das Essen gleich fertig sein wird und wir uns daher waschen sollten, damit wir vorher beten können.
    Ich spreche das Gebet, denke dabei aber die ganze Zeit: Wie hat Dad gelernt, ein so guter Lügner zu sein? Was für Lügen hat er sonst noch erzählt? Und was hat er am Sonnabend abends gemacht? Auch beim Essen geht mir das ständig durch den Kopf. Dabei mampfe ich mein Lamm-Korma und schummele mich mit halb erfundenen Geschichten durch den fälligen Bericht von meinem Wochenende, also Computerspiele am Freitagabend, Kino am Sonnabend und den ganzen Sonntag habe ich für die Schule gelernt.
    Es klingelt.
    Dad macht auf. Mom und ich essen weiter. Ich vermute, es sind die Zeugen Jehovas. Mom ist sicher, dass es der Immobilienmakler aus unserer Straße ist. Wir irren uns beide.
    »Was wünschen Sie?« Dads Stimme ist trocken und hoch, als würde er sich allzu große Mühe geben, normal zu klingen.
    Wir hören zwei Männerstimmen, tief und ernst.
    »Kommen Sie rein, kommen Sie rein«, sagt Dad. »Neda? Sami? Wir haben Besuch.«
    Ich renne durch den Flur und mache mir beinahe in die Hosen. Das ist kein Besuch. Das sind Bullen. Ihr Streifenwagen steht in unserer Auffahrt.
    »Lassen Sie die Schuhe ruhig an«, sagt Mom, als würden sich die Bullen wirklich um unseren Teppichboden scheren. »Tut mir leid, dass es so unaufgeräumt ist.«
    Dad geht allen voran ins Wohnzimmer. Mom und er setzen sich nebeneinander aufs Sofa und lächeln, als würden sie Freunde aus dem Golfclub empfangen. Ich nehme an der Seite Platz. Um nicht panisch zu werden, tue ich so, als wäre das hier eine T V-Serie . Einer schlechten Serie. Müsste nicht einer der beiden an der Tür stehen bleiben, für den Fall, dass oben noch mehr von uns sind und die einen hinterhältigen Angriff planen?
    Der jüngere der beiden ist schlaksig und hat einen riesigen Adamsapfel. Er bleibt stehen, die rechte Hand auf dem Pistolengurt, und als er glaubt, unbeobachtet zu sein, starrt er auf unseren ausgerollten Gebetsteppich. Der ältere hat auf der linken Wange eine Brandnarbewie von einem heißen Bügeleisen oder so. Er setzt sich auf den Polsterhocker, im rechten Winkel zu seinem Partner, und zieht einen Notizblock aus der Tasche.
    »Also, was kann ich für Sie tun?«, fragt Dad.
    »Möchten Sie Kaffee?«, fragt Mom.
    »Nein, danke«, sagt Narbengesicht. »Die New Yorker Landespolizei hat uns gebeten, bei Ihnen vorbeizuschauen.« Er sieht, wie Dad Moms Hand nimmt. »Immer mit der Ruhe. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Jedenfalls noch nicht.«
    »Noch nicht?«
    »Ihr Sohn hat am Wochenende auf den Thousand Islands unerlaubt ein Privatgrundstück betreten und ist dabei ertappt worden.«
    »Das muss ein Irrtum sein«, sagt Dad. »Er war hier, bei meiner Frau.« Dad blickt Mom an, damit sie

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