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Im Fadenkreuz der Angst

Im Fadenkreuz der Angst

Titel: Im Fadenkreuz der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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auch nicht. Ich höre nur Moms Herz pochen und den Ärmel ihres Morgenmantels an meinem Ohr rascheln. Dann sind wir alleine.
    »Alles okay?«, fragt sie.
    Ich nicke zitternd.
    Sie legt mir die Mohairdecke um die Schultern, mit der sie sich sonst beim Lesen zudeckt, und schiebt mich zum Sofa.
    »Du bleibst jetzt hier sitzen und ich mache ein paar Anrufe. Gehe nicht da rüber. Da sind Glassplitter auf dem Boden.«
    Ich blicke zur Verandatür. Die Vorhänge sind zugezogen und der Tisch steht davor, damit die demolierte Tür zubleibt. Sofort habe ich wieder den Einbruch auf dem Schirm.
    »Kannst du nicht hier telefonieren?«, frage ich und ziehe die Decke fester um mich, als wäre ich drei Jahre alt.
    Mom streicht mir übers Haar. »Keine Angst, ich gehe nicht weg.«
    Das Telefon steckt nicht in seiner Basis, es liegtneben der Tür. Sie hebt es auf und ruft unseren Imam an.
    Es ist nicht mal sechs Uhr früh, aber er ist schon auf, um das Morgengebet zu verrichten. Ich schaue Mom ins Gesicht, während sie telefoniert. Die Muskeln um ihre Augen und Lippen sind angespannt, aber ihre Stimme ist ruhig. Genauso hat sie auch letzten Winter reagiert, als wir vom Rodeln nach Hause fuhren und plötzlich in einen Schneesturm gerieten.
    »Ich weiß nicht, wohin sie ihn gebracht haben«, sagt Mom ins Telefon. Sie blickt auf den Koran, ihre Augen sind so starr, als würden sie ihr bei der leisesten Bewegung aus dem Kopf fallen.
    Der Koran ist das Einzige hier im Raum, was sie nicht angefasst haben. Oder vielleicht ist es der einzige Gegenstand, den Mom wieder an seinen Platz gebracht hat. In jedem Fall befindet er sich auf seinem Podest neben dem Regal mit den Gebetsteppichen. Die Teppiche liegen in einem Haufen auf dem Boden, zusammen mit Moms Hidschab. Oben drauf unser Flachbildfernseher. Von den Wänden wurde alles runtergerissen: Bilder, Wandleuchter, Deckenlampen, sogar die Verkleidung der Lichtschalter. Und was an der Wand stand, haben sie abgerückt, aber nicht nur das Sofa, die Stühle und die Ecktische: Auch die Bücherregale neben dem Kamin haben sie aus der Wand gerissen, die Bücher aufgeblättert und auf den Boden geworfen. Die Blende vom Kamin liegt auf dem Teppich, das künstliche Feuerholz wurde zerschlagen.
    Was hat das FBI gesucht? Was soll Dad versteckt haben? Und was hat er mit Hasan zu tun?
    Der Imam scheint was Wichtiges zu sagen. Moms Augen sind nicht mehr auf den Koran gerichtet. Ihre Blicke flitzen herum wie Finken. Sie wedelt mit dem freien Arm. »Sami. Zettel. Stift.«
    Ich bücke mich nach dem Notizblock und dem Kugelschreiber, die neben dem umgeworfenen Tisch liegen. Mom reißt mir beides aus der Hand, klemmt sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter und kritzelt. »Danke. Vielen herzlichen Dank. Ich erwarte seinen Anruf.« Sie legt auf.
    »Und?«, sage ich.
    »Der Imam besorgt uns einen Anwalt.« Mit einer vagen Geste deutet sie auf das Chaos um uns. »Und Leute, die das alles wieder ganz machen.«
    »Was ist mit Dad?«
    »Keine Sorge. Der Anwalt wird rauskriegen, wo er ist und wann er zurück nach Hause kommt.«
    Plötzlich verändert sich Moms Gesicht und sieht ganz fremd aus. Mom streckt den Arm aus und hält sich am Türrahmen fest. Es wirkt, als hätte sie keine Ahnung, wo sie ist.
    »Mom?«
    Das Licht in ihren Augen geht wieder an. »Ich komme gleich wieder«, sagt sie und geht nach oben. Und schon ist sie mit Besen, Müllschippe und Staubsauger zurück.
    Ich blicke sie verständnislos an. Sie lässt sich nicht beirren. »Glaubst du, die Glassplitter verschwinden von alleine?«
    Ich weiß nicht, was sie von mir erwartet, aber sicher nicht, dass ich einfach auf dem Hintern sitzen bleibe.Ich stehe auf und gehe ins Erkerzimmer, unser zweites Wohnzimmer. Vor dem Haus scheint irgendwas los zu sein. Ich blicke durchs Fenster.
    Mein Magen zieht sich zusammen.
    Unser Vorgarten ist mit einem Band abgesperrt, wie in einem Krimi. Quer über der Auffahrt steht ein Streifenwagen, ein zweiter am Bordstein. Zwei Polizisten drängen Gaffer auf die andere Straßenseite. Die meisten sind Nachbarn in Morgenmänteln und mit Kaffeetassen in der Hand. Aber es sind auch zwei Kamerateams da. Ihre Übertragungswagen stehen ein paar Häuser weiter, ein dritter kommt gerade angefahren.
    Ich schalte das Licht im Zimmer aus, damit niemand reingucken kann. Ich wünschte, die Erkerfenster hätten auch Vorhänge, aber hier hängen bloß dünne Dekogardinen.
    Ich schiebe mich neben das Fenster und schiele nach draußen. Ich

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