Im Fadenkreuz der Angst
die blaue Tür.
All das wird ununterbrochen wiederholt, dazu gibt es Bilder von unserem Haus, vom Hubschrauber und von der Straße aus, sowie Interviews mit unserenNachbarn: »In Meadowvale gab’s noch nie einen Terroristen.« – »Sabiri ist ein ruhiger Mann, wenn auch seltsam. Ist Mitglied im Golfclub, aber ob er je gespielt hat?« Blöde Sprüche.
Andy und Marty waren etwa drei Sekunden lang auf allen Sendern zu sehen. Marty ruckt jedes Mal wie ein Vollidiot mit dem Kopf, Andy steckt die Hände in die Taschen, tippelt auf und ab und sagt so einen Scheiß wie: »Sammy ist ein toller Typ. Super Kumpel. Bleib bloß im Haus, Sammy.« Danke, Andy. Soll doch die ganze Welt wissen, wie ich heiße, warum denn nicht.
Gegen sieben Uhr fünfundvierzig klingelt das Telefon. Mom stellt es laut, damit ich mithören kann.
»Hosam Bhanjee hier«, sagt der Mann. Er klingt, als wäre er gerade aufgewacht. Im Hintergrund höre ich Kinder, die sich über ihr Frühstück beschweren. »Ich habe gerade eine Nachricht von Imam Habib bekommen«, sagt Mr Bhanjee. »Wenn ich ihn richtig verstanden habe, braucht Ihr Mann einen Rechtsbeistand. Ich bin den ganzen Vormittag über mit anderen Klienten beschäftigt, aber heute Nachmittag kann ich mich frei machen. Nach allem, was ich über Ihren Mann weiß, wird sich die Angelegenheit bestimmt schnell klären lassen.«
Mom räuspert sich. »Mr Bhanjee, haben Sie die Nachrichten gesehen?«
»Nein. Warum?«
»Gucken Sie sich die Nachrichten an.« Sie hängt auf und schließt die Augen.
Das tue ich auch. Hosam Bhanjee ist Anwalt und Mitglied unserer Gemeinde. Er hat sich auf Migrantenrechtspezialisiert, vor allem nach dem 11. September. Er hat einen guten Ruf. Aber das hier ist mit nichts zu vergleichen, was wir bislang erlebt haben.
»Mom«, sage ich und versuche, ganz ruhig zu bleiben. »Mr Bhanjees Büro kann rausfinden, wo Dad ist. Und Bhanjee hat jede Menge Verbindungen, für den Fall, dass Dad, na ja, Hilfe braucht.«
Mom versucht zu lächeln, aber in dem Moment dröhnt aus dem Fernseher ein Trommelwirbel. Wichtige neue Nachrichten.
Das Gesicht des Nachrichtensprechers ist finster: »Aus zuverlässiger Quelle wissen wir jetzt, dass der wegen Terrorismusverdachts festgenommene Dr. Arman Sabiri die Forschungsabteilung der Firma Shelton leitet. Das Labor befindet sich außerhalb von Rochester und hat die Sicherheitsstufe vier, weil dort mit Anthrax-, Pocken- sowie mit anderen Viren und Microtoxinen gearbeitet wird. Falls Sie sich eben erst zuschalten: Dr. Sabiri steht im Verdacht, der US-amerikanische Kontaktmann der Bruderschaft der Märtyrer aus Toronto, Kanada, zu sein, bei der es sich vermutlich um eine Terrorzelle handelt.«
Wir sehen Livebilder vom Labor, von außen. Polizei, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter stehen bereit. Männer in weißen science-fictionmäßigen Anzügen gehen ins Gebäude. Die Labor-Angestellten werden gruppenweise in bereitstehende Wohnwagen geleitet.
»Die Mitarbeiter der Firma Shelton werden von der Bundespolizei befragt«, fährt der Nachrichtensprecher fort. »Das Labor bleibt geschlossen, bis eine Bestandsaufnahmealler vorhandenen biologischen Materialien erfolgt ist. Die Behörden haben inoffiziell bestätigt, dass sie die Bruderschaft verdächtigen, diesseits der Grenze einen biologischen Angriff auf den öffentlichen Verkehr, Nahrungsmittel und Wasservorräte geplant zu haben.«
Das Telefon klingelt. Mom geht ran. »Hallo?«
»Ist da Sabiri?«, fragt eine angenehme männliche Stimme.
»Ja«, sagt Mom. »Sind Sie Mr Bhanjees Assistent?«
Die Stimme wird eklig. »Du Hure, deine Familie wird sterben, ihr verdammten Schweineficker!«, kreischt der Mann. Es folgen Obszönitäten über den Propheten und den Islam.
Mom erstarrt.
»Hör zu, du Arschloch«, schreie ich ins Telefon. »Unser Anschluss wird abgehört. Kapiert? Das heißt, deine Nummer ist registriert. Wenn du uns irgendwas tust, nehmen die dich hoch.«
Das Anruf wird abgebrochen.
Mom blickt mich erstaunt an. Ich zucke die Achseln.
Aber wir haben gar keine Zeit, uns über obszöne Anrufe Gedanken zu machen. Auf allen Kanälen spekulieren Wissenschaftler über Dad und über mögliche terroristische Angriffe mithilfe biologischer Waffen. Sie lassen sich darüber aus, mit welchem Virus man eine Handvoll Leute infizieren könnte, die dann in U-Bahnen , Busse und Flugzeuge steigen und ihrerseits wiederum Hunderte anstecken könnten, bevor sie selber die ersten Symptome
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