Im Feuer der Begierde: Roman (German Edition)
Vlad nicht wissen, dass ich da war. Ich schwebte an der Wachhabenden vorbei, die sich hinter ihrem Stuhl zusammengekauert hatte und etwas vor sich hinmurmelte, das wie ein Gebet klang.
Obwohl mich bisher niemand hatte sehen können, warf ich nur einen verstohlenen Blick in den Raum, in dem Vlad verschwunden war. Darin gab es mehrere Metalltische, eine lange Reihe von Waschbecken und eine Wand mit lauter quadratischen Stahltüren.
Vlad stand vor einer solchen geöffneten Tür. Eine Bahre mit einem schwarzen Plastiksack darauf ragte daraus hervor. Vlad hatte den Kopf gesenkt, sodass sein dunkles Haar seinen Gesichtsausdruck verbarg, als er den Reißverschluss des Sacks öffnete. Während er dessen Inhalt in Augenschein nahm, hüllten Flammen ihn vom Kopf bis zu den Händen ein. Dann, ganz langsam, erlosch das Feuer, und er griff hinein.
Jetzt wusste ich, wo ich war. In einem Leichenschauhaus, und obwohl ich mir gut vorstellen konnte, was in dem Sack war, musste ich mich doch vergewissern. Mich dicht an der Zimmerdecke haltend, schwebte ich näher und riskierte einen Blick nach unten.
Zunächst war ich überrascht, wie wenig der Sack enthielt: einen Schädel, zwei Oberschenkelknochen und ein Rückgrat. Die kleineren, verkohlten Überreste konnte ich nicht einordnen. Nicht weniger überrascht war ich, als ich sah, wie Vlad über die Knochen strich. Mit den Fingern fuhr er über das gebogene Rückgrat, die Beinknochen und den Schädel; dabei war er so sacht, dass nichts verschoben wurde. Sein Gesicht konnte ich noch immer nicht sehen, doch das Licht, das durch seine Haare drang, war so grell, dass ich fast glaubte, es würde die Knochen versengen wie smaragdfarbene Laserstrahlen.
Richtig schockiert war ich aber, als Vlad »Leila« seufzte, während er weiter die Gebeine streichelte. Er dachte, ich läge dort? Aber Vlad war doch in Rumänien, während ich vermeintlich in Georgia ums Leben gekommen war …
Augenblick mal. Vlad hatte die Wachhabende und den Arzt auf Englisch angesprochen. Ich sah mich um. Auch die Hinweistafeln trugen englische Aufschriften. War Vlad nach Georgia gekommen, als er von meinem vermeintlichen Tod erfahren hatte?
Wenn ja, wünschte ich mir, ich wüsste, was er in diesem Augenblick fühlte! Genugtuung, falls er tatsächlich hinter dem Bombenanschlag steckte? Oder Kummer, falls ein anderer der Täter war?
Vlads Kopf blieb gesenkt, sein Gesichtsausdruck verborgen. Sieh auf, Vlad!, brüllte es in mir. Wenn er lächelte, waren meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt, doch was, wenn er ein kummervolles Gesicht machte?
Und da hob er tatsächlich den Kopf – und schien mich direkt anzustarren. Klarheit verschaffte mir das aber nicht. Seine Augen leuchteten so grell, dass ich sein Gesicht nur verschwommen erkennen konnte.
»Leila.«
Ich fuhr zusammen, doch nicht Vlad hatte meinen Namen gerufen. Die Stimme kam von einem anderen Mann, begleitet von einem heftigen Ruck. Sofort war ich hellwach, während das Leichenschauhaus sich in den Beifahrersitz eines Autos verwandelte. Maximus ließ meine Schulter los und sah mich stirnrunzelnd an, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zuwandte.
»Ich glaube, du hattest einen Traum. Du hast angefangen zu zittern.«
Das bezweifelte ich nicht. Meine Hände hatte ich noch immer nicht unter Kontrolle, und ich blickte mich so hektisch im Auto um, als könnte Vlad jeden Moment auftauchen. Ich hatte schon früher lebhafte Träume gehabt, aber so real war noch keiner gewesen.
Ich sah meine Hände an, erleichtert, dass ich noch die Handschuhe trug. Sie schlossen nicht nur die Elektrizität in mir ein, sie verhinderten auch, dass ich versehentlich telepathischen Kontakt zu jemandem aufnahm. Obwohl mir das im Schlaf natürlich noch nie passiert war. So etwas benötigte Konzentration, und Schlaf war das genaue Gegenteil davon.
»Du zitterst ja immer noch. Alles okay?«
»Ja«, meinte ich. »Schon gut. Ich kann mich nicht mal an den Traum erinnern.«
Maximus zog die Augenbrauen hoch, was besser als Worte ausdrückte, für wie unglaubwürdig er meine Antwort hielt, aber er bedrängte mich nicht weiter, während ich mich arglos gab.
»Jetzt, wo du wach bist, kannst du ja eine Verbindung zu dem Attentäter herstellen. In einer Stunde sind wir in Chicago. Wenn er nicht zu Hause ist, will ich wissen, wo er sich sonst aufhält.«
Gute Idee. Ich nahm den Beutel, den ich in den Getränkehalter gesteckt hatte, und zog den rechten Handschuh aus. Bis auf
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