Im Feuer der Nacht
Körper anderen Männern gegeben hatte.
Einem Menschen hätte sie sagen können, er habe kein Recht, sie zu verurteilen. Aber hier ging es nicht um Verurteilung. Und Clay war kein Mensch, der Gestaltwandler in ihm war zu stark. Für ihn ging es um Treue, um Loyalität. Es tat nichts zur Sache, dass sie Kinder gewesen waren, als er Orrin getötet hatte, um sie zu retten– schon damals hatten sie einander gehört. Bis sie die Verbindung zerrissen hatte. Nun stand die Vergangenheit unausgesprochen zwischen ihnen, drohte die Liebe zu zerstören, die sie sich bislang bewahrt hatten.
Er küsste sie. Genug, dachte sie und verbannte die hässlichen Gedanken aus ihrem Kopf. Sie war bei Clay, und nur das zählte. Zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten fühlte sie sich beinahe heil und ganz.
Clay und Talin trafen fast gleichzeitig mit dem SnowDancer-Offizier am Treffpunkt ein, einer Hütte auf dem Gebiet der Leoparden. Judd Lauren war der kälteste Mann, den sie je gesehen hatte. Er trug ein schwarzes T-Shirt und schwarze Jeans und sah sie eisig abschätzend an. Wenn Clay nicht an ihrer Seite gewesen wäre, hätte sie sich umgedreht und wäre, so schnell sie konnte, fortgelaufen. Ein wenig beruhigte sie jedoch, dass Judd die Hand einer kleinen blonden Frau hielt, die ganz ungewöhnliche braune Augen mit blauen Einsprengseln hatte und so wunderbar lachen konnte, wie Talin es noch nie gesehen hatte.
„Brenna, Judds Frau“, sagte Clay an ihrem Ohr.
Brennas Gesicht zeigte Überraschung. „Um Gottes willen, es stimmt also wirklich– Clay redet mit Ihnen.“
Talin musste unwillkürlich kichern, trotz der schmerzhaften Gedanken in ihrem Kopf. „Und er?“ Sie zeigte auf Judd.
„Wenn ich sehr gut bin, sagt er manchmal zwei ganze Sätze hintereinander.“
Talin wollte etwas antworten, aber Clay legte ihr von hinten die Hand auf den Mund– während Judd gleichzeitig seinen Arm um Brennas Hals schlang. „Bevor sie noch andere Dinge vergleichen“, sagte er zu Clay, „lass uns lieber erst einmal alles andere besprechen.“ Er zog Brenna mit sich auf die Veranda und schnappte sich einen Stuhl, während sie sich auf der Hollywoodschaukel zusammenrollte.
Clay und Talin folgten den beiden. Clay lehnte sich gegen das Geländer, und Talin blieb an seiner Seite. Das Lachen war ihr vergangen. Judd hätte sich nicht gesetzt, wenn er ihnen nichts mitzuteilen gehabt hätte. Dev hatte also wahrscheinlich recht– Mediale entführten die Kinder… taten Jon Dinge an, die man vielleicht nie wieder auslöschen konnte.
„Vertraust du ihr?“, fragte Judd und sah Talin kalt an.
Die offene Frage ließ sie erstarren. Sie sagte sich, es habe keinen Sinn, zu hoffen und das Unmögliche zu erwarten. Doch nach Clays Antwort hatte sie das Gefühl, man hätte ihr die Haut abgezogen. „Sie gehört mir.“ Besitz, kein Vertrauen.
Aber das schien Judd zu genügen. „Sie wissen, dass mit Silentium den jungen Medialen die Gefühle abtrainiert werden?“, fragte er sie.
Krampfhaft versuchte sie wieder Fuß zu fassen. „Ja, Clay hat es mir erklärt.“
„Dem Rat der Medialen ist diese Methode inzwischen nicht mehr sicher genug“, sagte Judd.
Talin schlang die Arme um Clay. Er hatte den Arm bereits um ihre Schulter gelegt und drückte sie nun fester an sich.
„Weil eine Reihe von Personen sich Silentium nicht mehr unterwirft bzw. die Konditionierung durchbricht“, fuhr Judd fort, seine Stimme wurde noch eisiger und seine Augen schwarz wie der Tod, „hat der Rat ein Programm für Implantate in Gang gesetzt.“
Talin sah, dass Brenna die Hand auf Judds Unterarm legte. Obwohl er nicht darauf reagierte, klang seine Stimme doch menschlicher, als er weitersprach. „Sie wollen den Kindern Implantate ins Gehirn einsetzen, um völlige Unterwerfung unter Silentium sicherzustellen. Diese Chips werden das Medialnet, das momentan aus vielen Individuen besteht, in ein kollektives Gehirn verwandeln, über das allein der Rat die Macht hat.“
„Ist ihnen denn nicht klar, dass sie damit ihre ganze Kultur zerstören?“, fragte Talin. Die Vorstellung eines Eingriffs in sich entwickelnde Gehirne erschreckte sie. „Das würde jegliche neuen Ideen schon im Keim ersticken, brillanten Geist durch Konformität ersetzen.“
In Judds klassisch schönen Zügen flammte Zorn auf. „Der Rat ist nur an Macht interessiert. Alles andere kümmert ihn nicht.“
„Welche Verbindung besteht zu den Entführungen?“, fragte Clay.
„Bis vor ein paar Monaten befand
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