Im Feuer der Nacht
Erst als sie den heißen Topf sicher in die Spüle gestellt hatte, griff er nach ihrem Handgelenk. Ihre Haut fühlte sich kalt und feucht an. „Talin?“
„Was ist?“ Sie sah ihn an, ihr Gesicht hatte einen Ausdruck, den er noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte. Tally hatte zu viel Energie, zu viele Gefühle, um so ruhig zu sein.
Das Tier in ihm witterte etwas, sie hatte plötzlich einen noch stärkeren falschen Geruch an sich. „Wer bin ich, Tally?“
„Clay“, sagte sie, wollte aber weder ihre Hand befreien, noch zeigte sie irgendeine andere Reaktion, die er von ihr erwartet hätte. Diese Ruhe war unheimlich und unnatürlich. „Darf ich jetzt gehen?“
Er runzelte die Stirn, sie hatte wie ein Kind gefragt. Der Klang ihrer Stimme hatte sich verändert, auch der Rhythmus der Worte. Sie hörte sich an wie eine Sechsjährige. „Tally, Süße, bist du noch da?“
„Natürlich, du Dummer.“ Sie lächelte ihr süßes, unschuldiges Tally-Lächeln. Vor langer, langer Zeit hatte sie damit aufgehört. „Ich will jetzt meine heiße Schokolade.“
„Setz dich auf die Kissen. Ich bring sie dir.“
Mit den Augen folgte sie seinem Blick zur gegenüberliegenden Seite des Raumes. „Ist das hier dein Clubhaus?“
„Aber ja.“ Angst drückte ihm das Herz zusammen. „Geh schon, Baby.“
In ihrem Lächeln lag völliges Vertrauen. Sie ging zu einem Kissen, setzte sich und schlug ein Bein unter. Er nahm den Becher und brachte ihn ihr. Sie dankte ihm mit einem Lächeln. „Hmmm. Hast gelernt, Schokki zu machen, Clay?“
Sein Verstand registrierte, dass Satzbau und Wortwahl ebenfalls auf Früheres zurückgriffen, aber er sah nur diesen Ausdruck in ihren Augen. Er hatte ihn schon einmal gesehen. Vor zwanzig Jahren. Der Leopard in ihm strich unruhig umher.
„Du hast sie gemacht, Tally“, sagte er mit aller Zärtlichkeit, die er aufbringen konnte. „Kannst du dich nicht mehr erinnern?“
Sie sah ihn überrascht an. „Nein, du Dummer. Darf nicht–“ Ihre Augen wurden glasig. Sie trank einen Schluck, dann… geschah nichts. Sie bewegte sich nicht mehr. Nur ihr Atem verriet, dass sie noch am Leben war.
„Tally?“ Er berührte ihre Wange. Keine Reaktion. Panik ergriff den Leoparden, verzweifelt nahm er ihr Gesicht in beide Hände. „Wach auf, Tally!“ Das letzte Wort war ein Knurren.
Sie blinzelte. Dann noch einmal, als koste es sie große Anstrengung. Ihre Hände zitterten. Er nahm ihr den Becher ab und stellte ihn weg. „Verdammt noch mal, Tally, komm sofort zu mir zurück.“
Ihre Stirn legte sich in Falten. „Gib… mir… bloß… keine Befehle.“ Sie schüttelte den Kopf wie eine Katze, die nass geworden war. „Clay?“
„Ich bin hier.“ Er hätte sie gern in den Arm genommen, wusste aber nicht, wie sie darauf reagieren würde. „Ich bin hier bei dir.“
Sie sah ihn ängstlich an. „Wie bin ich hierhergekommen? Ich stand doch am Herd.“ Panik sprach aus ihren Worten, kratzte scharf auf seiner Haut.
„Irgendetwas ist mit dir geschehen.“ Er setzte sich anders hin, genau vor sie, sodass sie zwischen seinen aufgestellten Beinen saß.
„War es eine Art Anfall, eine Episode?“ Ihre Hand fuhr nach oben, als wolle sie ihre Haare zurückstreichen, aber dann ballte sie die Faust und presste sie auf ihr Zwerchfell. „Was habe ich getan?“
„Erinnerst du dich, worüber wir geredet haben?“
Sie zögerte, dann wurden ihre Wangen rot. „Wir haben doch nicht–?“, sagte sie schrill.
„Nein!“, antwortete er sofort. „Nein, Baby, du warst höchstens drei Minuten weg. Deine Schokolade ist immer noch heiß.“ Er drückte ihr den Becher in die Hand, irgendwie musste er diesen ängstlichen Ausdruck in ihren Augen zum Verschwinden bringen.
Sie schloss die Hand um den Becher und seufzte vor Erleichterung. „Manchmal tue ich Dinge, wenn ich–“ Ihr Gesicht verzog sich schmerzhaft. „Manchmal wache ich in fremden Räumen auf. Dann muss ich in die Klinik, und es wird überprüft, ob meine Impfungen auf dem neuesten Stand sind, und die Ärzte behandeln mich, als sei ich eine Hure.“ Das letzte Wort flüsterte sie, und ihre Stimme brach.
Zorn über diese Behandlung wollte in ihm aufsteigen. Er unterdrückte ein Brüllen und konzentrierte sich auf Tally. „Hier bist du sicher. Zumindest vor dieser Art von Erniedrigung.“ Der verletzte, verlorene Ausdruck in ihren Augen zerriss ihm das Herz, der Leopard zitterte vor Schmerz, während der Mann versuchte, die Zärtlichkeit aufzubringen, die
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