Im Feuer der Nacht
Du könntest ruhig entgegenkommender sein.“
„Warum?“ Ihr Mund war ein fester Strich. „Damit du dich als alles vergebender Leopard aufspielen kannst und ich demütig zu deinen Füßen sitze? Erzähl mir nicht, du wärst noch Jungfrau.“
„Langsam reicht es mir“, drohte er und fühlte sich so lebendig, dass er fast trunken davon war. Sich mit Tally zu streiten war besser als alles, was er mit anderen Frauen tun konnte. „Es geht doch gar nicht um Sex.“
„Soso.“
„Du hast dich selbst verletzt, Tally. Verdammt noch mal, du hast dir dasselbe angetan, was–“ Er schluckte den Rest des Satzes hinunter, wollte Orrin nicht aus dem Grab auferstehen lassen. „Das macht mich so wütend. Stimmt schon, ich bin vielleicht etwas besitzergreifend, aber du wolltest Faith immerhin schon die Augen auskratzen– nur wegen ein paar Blumen.“
Sie schmollte stumm.
„Außerdem sind wir sowieso quitt, was Vergebung angeht.“
Sie kniff die Augen zusammen. „Wieso denn das?“
„Ich versuche damit klarzukommen, dass du auf diese Weisemit anderen Männern zusammen gewesen bist, und du vergibst mir, dass ich dich nicht all die Jahre vor Orrin beschützt habe.“
Im Wagen herrschte nur noch Stille, tiefe, schmerzerfüllte Stille.
„Woher weißt du das?“, flüsterte sie, ihr Gesicht sah so nackt und verletzlich aus, dass der Leopard schauderte. „Ich wusste es nicht einmal selbst, bevor du es gesagt hast.“
„Ich kann mir selbst nicht vergeben.“ Er küsste sie ganz zart. „Es tut mir so leid, Tally. Es tut mir so leid.“
Talins Herz zersprang fast vor einer Übermacht von Empfindungen. Sie gab sich einen Stoß und schloss die Arme um den großen Mann, den sie über alle Maßen liebte. Ihre Finger krallten sich in seinen Rücken, und sie barg ihr Gesicht an seiner Brust, hörte seinen kräftigen Herzschlag. „Ich habe dir nie Vorwürfe gemacht“, flüsterte sie. „Jedenfalls nicht bewusst.“
Er lehnte sich zurück, zog sie mit sich, bis sie fast auf seinem Schoß lag. „Du hast allen Grund, mir Vorwürfe zu machen.“
„Nein, Clay. Wir waren doch Kinder.“
„Sag die Wahrheit, Baby. Nur der Wald und ich können dich hören.“
Ein paar Minuten lang sagte sie nichts, lauschte nur dem Rauschen der Blätter. Sie hatte diesen Knoten aus Wut und Schmerz so lange in sich festgehalten, hatte diese Gefühle niemandem gezeigt. Hatte sich die ganze Zeit immer wieder gesagt, dass sie es geschafft hatte, dass es ihr gut ging. Aber war es wirklich so?
„Ich habe nach dir gerufen“, flüsterte sie und riss damit eine Wunde auf, die nie zuvor das Tageslicht gesehen hatte. „Als es anfing, gab es niemanden, nach dem ich rufen konnte. Aber als es dann passierte, nachdem wir uns getroffen hatten, habe ich nach dir gerufen.“
Clays Arme pressten ihren Körper so fest zusammen, dass sie fast keine Luft mehr bekam, aber sie beklagte sich nicht.
„Vielleicht habe ich dir insgeheim Vorwürfe gemacht“, gab sie zu; ihr blutete das Herz, denn sie wusste, wie sehr sie ihm damit wehtat. „Aber es war nicht so einfach. Du warst das Wichtigste in meinem Leben. Ich wollte dich in Schutz nehmen. Deshalb habe ich dir nie die Wahrheit gesagt.“ So viele verschiedene Schichten der Verletzung. „Und du wirfst mir mein Schweigen vor.“
„Nicht für das Geschehene. Niemals.“
Aber sie wusste, dass er ihr vorwarf, ihm die Möglichkeit genommen zu haben, ihr zu helfen. „Ich würde wieder genauso handeln.“ In diesem Moment ging es um absolute Ehrlichkeit. „Orrin hätte dich umgebracht, wenn ich etwas gesagt hätte und du dich auf ihn gestürzt hättest. Du warst noch zu jung, als wir uns trafen.“ Neun Jahre und nur Haut und Knochen, als könne er niemals genug essen, um seinen wachsenden Körper mit ausreichend Nahrung zu versorgen. Er war trotzdem ein harter Bursche gewesen– aber Orrin war ein Mörder.
„Ich bin ein Leopard“, sagte er. „Unsere Frauen bedeuten uns alles. Ich würde eher sterben, als zuzulassen, dass dir etwas geschieht. Versuch nicht noch einmal, mich zu schützen.“
„Das kann ich nicht versprechen.“ Es war ihr Leben. Das war eine Tatsache.
„Aber du bist die Frau.“ Seine Zähne kratzten an ihrem Ohr. „Du musst dich unterwerfen.“
Beinahe hätte sie ihn auch gebissen. „Hat das jemals funktioniert?“
„Als du fünf warst.“
Darüber musste sie lachen, und trotz aller Schmerzen tat es gut. Indem sie die Wahrheit akzeptiert hatte– die Wahrheit des Kindes, nicht
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