Im Feuer der Nacht
Mings Emblem– zwei miteinander kämpfende Schlangen.
„Das weiß ich“, sagte sie. „Aber solange ich keinen Fluchtversuch unternehme, ist es Ihnen nicht gestattet, irgendetwas gegen mich zu unternehmen. Ich muss nachdenken, und das kann ich am besten unter freiem Himmel.“
„Die Überwachung–“
„– von außen wurde eingestellt, nur unsere eigenen Satelliten richten sich noch auf diese Gegend. Und da draußen gibt es niemanden, der mich sehen könnte.“ Nur Maisfelder, endlose Reihen von grünen Halmen. „Sie können mich auch begleiten.“
Ein knappes militärisches Nicken. „Nach Ihnen.“
Ashaya gab sich nicht der Illusion hin, dass die Schlacht schon gewonnen war. Der Beamte versuchte nur, Zeit zu gewinnen, während er telepathisch Ming um weitere Anweisungen bat. Die erwartete geistige Berührung erreichte sie nur Sekunden, nachdem sie durch die täuschend verfallen aussehende Eingangstür geschritten war.
Ja, Ratsherr, meldete sie sich.
Sie halten sich nicht an die Befehle, Ashaya. Mings geistige Stimme war klar zu verstehen. Entweder befand er sich noch im Land oder seine telepathischen Kräfte waren noch stärker, als sie gedacht hatte.
Sie hätten wissen müssen, dass die Regeln mich nicht abhalten würden. Sie ging die Stufen hinunter ins Maisfeld, der Beamte folgte ihr wie ein Schatten. Ich habe einen psychologischen Defekt, bin aber deswegen nie Rehabilitationsmaßnahmen unterzogen worden. Denn sie war zu wertvoll, um sie der Gefahr eventueller tödlicher Folgen auszusetzen. Doch dieser Schutz würde nicht ewig halten.
Ihre Tendenz zur Klaustrophobie ist bei der Konstruktion Ihres Labors beachtet worden. Man hat äußerst großzügig gebaut.
Aber unterirdisch. Sie war einmal verschüttet worden. Das hatte dauerhafte Spuren hinterlassen. Der Defekt schwächt meine Fähigkeiten in gar keiner Weise, stellte sie nun klar, denn sie musste vorsichtig sein, aber nach einer längeren Zeit dort unten fällt mir das Denken schwer.
Dann ist unsere Konstruktion fehlerhaft, gab er mit kalter medialer Logik zu. Unser Psychologe war der Meinung, bei dieser Gestaltung und Ihrer mentalen Stärke hätte der Ort keine Auswirkung auf Ihre Fähigkeiten.
Damit hatte er auch recht– meine Fähigkeiten sind nicht betroffen. Jedes Zeigen von Schwäche konnte ihren Tod bedeuten. Es geht mehr um die Effizienz. Ich brauche nur ein oder zwei Stunden täglich an der Erdoberfläche, um im Spitzenbereich weiterhin produktiv zu sein.
Ming schien nachzudenken. Das ist kein Sicherheitsrisiko. Ich gestatte es Ihnen.
Vielen Dank. Ich würde es auch vorziehen, wenn man mir nicht folgt. Die Anwesenheit des Sicherheitsbeamten lenkt mich ab. Die meiste Arbeit passiert schließlich in meinem Kopf. Zumindest das stimmte und würde sicher auch in den Berichten stehen, die Ming während ihres Gesprächs vor sich hatte.
Wieder zögerte er. Einverstanden. Wir haben das ganze Gebiet unter unserer Kontrolle.
Eine versteckte Drohung. Sehr schön.
Nehmen Sie sich in Acht, Ashaya. Von Ihrer Arbeit hängt sehr viel ab.
Damit spielte er auf Keenan an. Doch die Drohung erreichte sie nicht gefühlsmäßig– so einfach war das nicht. Nur Gestaltwandler und Menschen kannten mütterliche Gefühle. Ashaya bewegten andere Dinge. Das wusste Ming nur zu gut.
Aber sie hatte es geschafft, sie war draußen. Ein Schritt nach dem anderen. Sie war eine M-Mediale und kannte ihre genetische Ausstattung genau. Geduld war eine ihrer herausragenden Eigenschaften.
In den Tiefen des Medialnet, das Millionen von Medialen in der ganzen Welt geistig miteinander verband, traf das Gespenst auf eine Information, die anfangs nur wenig Sinn ergab– Gerüchte über die Entführung von Menschenkindern. Im Medialnet verschwand nie etwas, aber diese Information war noch vollständig und auch noch nicht im weit verzweigten Netzwerk verbreitet. Die Gerüchte mussten also neu sein. Das machte das Gespenst nachdenklich.
Es war ein Rebell und wollte dem Rat die Macht nehmen, um die Seinen von den Ketten Silentiums zu befreien. Das Programm war nicht in Ordnung. Das Gespenst hatte bereits im Namen der Freiheit gemordet und würde es noch öfter tun, ehe alles geschafft war. Aber auch es war ein Medialer. Es fühlte nichts, weder Liebe noch Sorge oder Hass. Gar nichts.
Also betrachtete es diese Information mit eiskalter Logik. Es kannte keine Zuneigung, wusste kaum, was Berührung bedeutete. Ausschlaggebend für seine Entscheidung war letztlich das
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