Im Feuer der Nacht
legte einen kleinen Schreibblock vor sich hin, nahm einen Stift und griff nach der ersten Akte. Es war die von Jonquil.
28
Jonquil besah sich die feinen Nadelstiche auf seinem Arm, er hatte noch einmal Glück gehabt. Die Frau mit den Wolfsaugen, der er den Namen Blue gegeben hatte, hatte nichts getan, um ihn zum Schreien zu bringen, hatte ihm nicht einmal wehgetan. Tatsächlich hatten auch die Schreie der anderen aufgehört, seit sie erschienen war.
Doch er war zu sehr von seiner Angst beherrscht, um sich zu fragen, was das bedeutete.
Sie hatte Blut-, Haut- und Haarproben bei ihm genommen, und er hatte Tausende von Fragen beantworten müssen. Heute sollte sein Gehirn untersucht werden. Irgendwie spürte er, dass dort Blues eigentliches Interesse lag, obwohl man es weder ihrem Gesicht noch dem der anderen blonden Dame ansehen konnte. Sie waren die kältesten, eisigsten Leute, denen er je begegnet war. Er wusste natürlich, wer sie waren. Aber ihm war nicht klar, was sie von ihm wollten.
Doch er würde ihnen diese Unsicherheit ganz bestimmt nicht zeigen. Talin hatte ihm das beigebracht. Er sah ihnen stolz und aufrecht entgegen, als sie die Tür öffneten– diesmal die Blonde und ein unbekannter Mann. Keine Frau mit Wolfsaugen und weicher Schokoladenhaut.
Jonquil fiel sofort auf, dass er dem Mann körperlich überlegen war, kein Problem. Aber diese Leute kämpften nicht mit dem Körper. Sie benutzten ihren Geist. Er hatte lange genug auf der Straße gelebt, um zu wissen, was mit denjenigen geschah, die sich für die falsche Seite entschieden. Sal hatte versucht, die Gruppe über den Tisch zu ziehen, die ihn freikaufen wollte. Als man ihn gefunden hatte, war nicht mehr viel von ihm übrig gewesen.
„Ich bin bereit.“ Er machte sich gar nicht erst die Mühe, sie mit seiner Stimme zu beeindrucken. Wenn er auf eine bestimmte Weise sprach, langsam und melodiös, fesselte er die Leute, aber Blue hatte von dieser Fähigkeit gewusst und ihm davon abgeraten, sie auszuprobieren. Sie meinte, es würde nicht nur fehlschlagen, sondern auch seinen Tod besiegeln. Und er hatte sich entschieden, ihr zu glauben… jedenfalls bis auf Weiteres.
Die Blonde nickte. „Deine Kooperation haben wir notiert.“
Er fragte sich, ob das bedeutete, sie würden ihn während der Folterungen betäuben. Er öffnete den Mund, um nach Blue zu fragen, schloss ihn dann aber wieder, als ihm einfiel, was sie gesagt hatte, nachdem sie ihn wieder in seine Zelle gebracht hatte.
Ich bin nie hier gewesen. Du wirst schweigen.
Warum? Wer sind Sie denn?
Die Frau, die dir keinen Schmerz bereitet hat.
Wie wahr, dachte er und nahm deutlich den reptilienhaften Glanz in den Augen des Mannes wahr. Kalt oder nicht, er mochte es, Leuten Schmerz zuzufügen. Jons Instinkt riet ihm zu flüchten, sofort. Los, lauf, schrie alles in ihm! Aber er wusste nicht wohin– noch nicht–, und deshalb folgte er den beiden Gestalten durch den Flur.
Er beschloss, den Mann Eidechse zu taufen. Für jeden hatte er insgeheim einen Namen, auch für Talin. Sie würde den Namen für übertrieben halten, dachte er und versuchte Mut zu fassen, trotz der Gefahr, die Eidechse ausstrahlte.
„Hier hinein, bitte.“ Die Blonde öffnete eine Tür.
Nach ein paar Schritten blieb er stehen und zog die Stirn in Falten. „Was zum Teufel ist das?“ Er sah einen Stuhl, an dem Apparate angebracht waren, die selbst einem unerfahrenen Betrachter verrieten, dass sie Schmerzen bereiten würden.
„Eine Maschine, die uns dabei helfen wird, deine Gehirntätigkeit besser zu verstehen.“ Eidechse hatte zum ersten Mal gesprochen, seine Stimme klang kalt… tot, und die Tür schloss sich hinter ihnen.
Jonquil hatte ein ungutes Gefühl im Magen. Sicher hatte Blue nicht ihre Erlaubnis dazu gegeben. Er starrte die Blonde an, in seinen Augen stand eine unausgesprochene Frage.
Sie zeigte keine Regung. „Setz dich.“
„Nein.“ Scharfer Schmerz fuhr durch seinen Kopf, er schwankte. Aber er schrie nicht.
Die Blonde sah Eidechse an. „Vielleicht sollten wir jemand anderen nehmen?“
„Es gibt nur noch eine. Zeig sie ihm.“
Jon griff mit beiden Händen nach seinem Kopf, als die Wand hinter dem Stuhl plötzlich durchsichtig wurde. Auf der anderen Seite saß ein kleines Mädchen. Sie hatte sich in einer Ecke zusammengekauert und die Knie an den Körper gezogen. Ihre Augen sahen ihn an. Groß, braun, voller Furcht und Qualen. Ein Funke von Hoffnung glomm in ihnen auf, als sie ihn sah.
„Wenn
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