Im Feuer der Nacht
wurde die Ankündigung des Butlers: »Ein Angehöriger der Polizei möchte gemeldet werden, Ma’am« mit einem derart erschütterten Schweigen begrüßt, wie kaum ein anderes Ereignis es hätte auslösen können.
Der Konstabler, ein Mann mittleren Alters in einer eng sitzenden Uniform, der gleich nach Silas’ Achtung gebietender Ankündigung eingetreten war, reagierte verschreckt auf die starrenden Blicke. Als Lady Harris sich irritiert, aber freundlich nach seinem Anliegen erkundigte, riss er sich zusammen und ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. »Ich bin gekommen, um Miss Ashford abzuholen.«
Penelope stellte ihre Tasse ab und erhob sich. »Ich bin Miss Ashford. Ich nehme an, dass Inspektor Stokes Sie geschickt hat?«
Der Konstabler runzelte die Stirn. »Nein, Miss. Ich bin hier, weil die Ladys im Findelhaus meinten, dass Ihnen die Leitung des Hauses obliege. Mein Vorgesetzter hat eine richterliche Befugnis gegen das Haus erwirkt. Er möchte, dass Sie einige Fragen beantworten.«
Penelope starrte ihn an.
Der Konstabler deutete zur Tür. »Wenn Sie mich bitte begleiten würden, Miss?«
Penelope ließ eine bestürzte Teegesellschaft zurück - und nicht wenig Klatsch und Tratsch. Ihre Mutter würde die Dinge wieder ins rechte Licht rücken, soweit das möglich war; aber insgeheim war Penelope froh, dass sie nicht zu den Ladys gehörte, die sich um das Salongeschwätz scherten. Ihr Leben und ihr Glück hingen, dem Himmel sei Dank, nicht von der Billigung der gehobenen Kreise ab.
Die Droschke, die der Schutzmann hatte warten lassen, fuhr vor dem Findelhaus vor. Penelope zwang sich, den Mann zuerst aussteigen zu lassen und ihr die Tür aufzuhalten; solche kleinen Gesten betonten ihren gesellschaftlichen Rang, ein bedeutungsvolles Detail, das sie sich sehr wahrscheinlich zunutze machen konnte, um ihre Stellung im Umgang mit dem Sergeanten auszuspielen.
Penelope stürmte ins Haus und wappnete sich innerlich mit jener gelassenen Überlegenheit, die ihrer Mutter, Lady Harris und sämtlichen Ladys ihresgleichen auf der Welt zu Gebote stand. Sie zupfte sich die Handschuhe von den Fingern und ließ den Blick umherschweifen. »Wo steckt Ihr Sergeant?«
»Hier entlang, Miss.«
»Ma’am.« Sie gestattete dem Konstabler, ihr auf dem langen Korridor voranzugehen.
Verwirrt schaute der Mann über die Schulter zurück. »Bitte um Verzeihung, Miss ...«
»Ma’am. Bedenkt man mein Alter und die Tatsache, dass ich als Leiterin des Findelhauses eine gewisse Verantwortung trage, dann lautet die korrekte Anrede >Ma’am<, und zwar ungeachtet meines Familienstandes.« Es konnte nie schaden, möglicherweise lästige Menschen auf ihren Platz zu verweisen. Während der Schutzmann damit beschäftigt schien, ihren Zorn zu besänftigen, zweifelte sie daran, dass sein Sergeant - der die richterliche Verfügung gegen das Haus erwirkt hatte - sich als ebenso harmlos erwies wie er. Allerdings war nicht damit zu rechnen, dass der Herr den Tonfall seines Dieners nachahmte.
»Oh.« Stirnrunzelnd machte der Konstabler sich daran, die Lektion zu verdauen.
Schließlich erreichten sie den Sergeanten, der sich mit der Hüfte an ihren Schreibtisch lehnte und zwei Gehilfen beaufsichtigte, die die großen Schränke im Vorzimmer durchsuchten. Ein rascher Blick machte ihr klar, dass die Männer sich bereits um den Schreibtisch gekümmert hatten. Die beiden Schutzmänner grapschten sich förmlich durch die Akten in den Schränken an der Wand, sodass Miss Marsh sichtlich in Aufruhr geriet.
Mit durchdringendem Blick maß Penelope den Sergeanten, und ihr gefiel nicht, was sie zu sehen bekam. Kein Zweifel, dass er den prahlerischen Maulhelden geben wollte; Penelope umrundete den Tisch, stellte ihr Retikül ab und setzte sich auf den Stuhl, den sie dicht an ihren Tisch zog.
Um ihre Herrschaft wieder geltend zu machen.
»Wie mir erklärt wurde, Sergeant, verfügen Sie über einen Durchsuchungsbefehl.« Sie blickte dem Mann direkt ins Auge, nachdem sie mit schwachem Stirnrunzeln quer über den Tisch geschaut hatte, als ob sie die Veränderungen nach der Durchsuchung protokollieren wollte. Dann streckte sie die Hand aus und winkte gebieterisch mit dem Finger. »Wenn ich ihn bitte sehen dürfte.«
Wie es zu erwarten gewesen war, verzog der Mann das Gesicht. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er sich zögernd von seinem Platz am Schreibtisch löste und seine drei Untergebenen betrachtete. Und wie sie vermutet hatte, verschwendete er ein
Weitere Kostenlose Bücher