Im Feuer der Nacht
wenig übersehen wie die Art, in der er sich bewegte. Beides war als eindeutige Botschaft zu verstehen, dass er bei einer Rauferei auf sich selbst achten konnte, und zwar mit Leichtigkeit.
Es gab einige Gentlemen in der besseren Gesellschaft, die ähnlich bedrohlich wirkten; es war wie ein gefährliches Glitzern, das unter ihrer polierten Oberfläche hindurchschimmerte und den verständigen Betrachter mahnte, dass unter all der Eleganz und Weitläufigkeit ein Herz pochte, das ganz und gar nicht zivilisiert war.
Plötzlich fiel ihr ein, dass sie ihn unverwandt angestarrt hatte. Sie räusperte sich und bemerkte: »Ich brauche keinen Schutz, Inspektor. Ich bin regelmäßig bei meinem Vater zu Besuch.«
»Mag sein. Aber der Vorfall in der Petticoat Lane könnte immer noch Auswirkungen haben. Und da Sie in diesem Fall auf meine Veranlassung hin das Viertel betreten, werden Sie hoffentlich verstehen, dass ich es mit meinem Gewissen in keiner Hinsicht vereinbaren kann, Sie ohne Begleitung gehen zu lassen.«
»Aber ...«
»Ich muss wirklich darauf bestehen, Miss Martin.«
Sie verzog das Gesicht. Sein Tonfall legte zwar nahe, dass er eine Bitte äußerte, aber der dunkle Gesichtsausdruck und das glanzlose Grau seiner Augen gaben unmissverständlich zu verstehen, dass er seine Haltung nicht ändern würde - an welch verworrenen männlichen Überzeugungen auch immer es liegen mochte. Sie kannte diesen Blick, den sie oft genug an ihrem Vater und an ihren Brüdern entdeckt hatte.
Was hieß, dass jedes Argument verschwendet war. Außerdem würden Imogen und Jane in Kürze zurückkehren, und es war ihr sehr lieb, wenn er dann bereits verschwunden wäre.
Wieder musste sie innerlich seufzen. In Wahrheit würde es sie überhaupt nicht jucken, mit einem Mann seiner Art im Schlepptau das East End zu betreten. Mehr als nur eine Frau würde viel dafür hergeben, einmal in den Genuss dieses Privilegs zu kommen. Und ihr bot sich jetzt kostenlos die Möglichkeit. Also nickte sie. »Ausgezeichnet. Ich bin mit Ihrer Begleitung einverstanden.«
Stokes lächelte.
Griselda fühlte sich plötzlich unbehaglich. Konnte es sein, dass ihr die Knie schwach wurden?
Nur weil er sie angelächelt hatte?
Ihr kamen erhebliche Zweifel, ob es wirklich klug war, ihm solche Nähe zu gestatten.
»Also ...« Stokes lächelte immer noch. »Ich nehme an, dass Ihre Mädchen bald zurückkehren werden?«
Sie kniff die Augen zusammen, suchte dann seinen Blick - und fand ihn grau, in wechselnden Schattierungen, unruhig und stürmisch. »Im Moment kann ich den Laden leider nicht verlassen. Ich habe gerade erst aufgeschlossen.«
»Ah.« Er wirkte ernüchtert, und das Lächeln verschwand. »Ich hatte gehofft...«
»Heute Nachmittag«, hörte sie sich selbst sagen, »ich werde früher abschließen. Dann können wir uns auf den Weg zu meinem Vater machen.«
Er hielt ihren Blick fest und nickte. »Vielen Dank. Ich werde um drei Uhr hier sein.«
Er lächelte wieder nicht. Griselda beschwor sich, dass sie ihm sehr dankbar dafür war. Trotzdem entspannten sich seine Lippen, als er höflich den Kopf neigte. »Bis dann, Miss Martin.« Er eilte zur Tür, öffnete, schaute zurück und verließ dann den Laden.
Kaum hatte er die Tür geschlossen, setzten ihre Füße sich wie von selbst in Bewegung und eilten ebenfalls quer durch den Laden zur Tür. Sie streckte die Hand nach oben, um das klingelnde Glöckchen zur Ruhe zu bringen.
Während sie Stokes mantelbedeckten Schultern mit Blicken folgte und beobachtete, wie er die Straße entlangeilte, fragte sie sich, was um alles in der Welt sie gerade getan hatte.
Und warum. Es sah ihr gar nicht ähnlich, auf ein attraktives Gesicht zu reagieren, obwohl auf seinem ein dunkler verwegener Ausdruck lag, der schwer zu ignorieren war.
Als er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, drehte sie sich um und eilte zurück zu der Haube, die sie gerade geplättet hatte. Wenn sie schon, ihm sei Dank, früher schließen würde, dann musste sie sich dringend an die Arbeit machen.
Um zehn Uhr vormittags betrat Barnaby unangekündigt Penelopes Büro im Findelhaus und überraschte sie dabei, die Akten durchzusehen.
Sie schaute auf, stand neben ihrem Schreibtisch.
Er lächelte und kam an ihre Seite. »Schon was gefunden?«
Nachdem sie ihn einen nervenaufreibenden Moment unverwandt angestarrt hatte, presste sie ihre verführerischen Lippen zusammen und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Papieren zu, die sie durchsah. »Ich kann mich an
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