Im Feuer der Nacht
abblätternde Decke, wenn er sich aufrichtete.
»Hier lang.« Jemmie führte sie in ein überfülltes Zimmer, das allerdings erheblich sauberer war, als Barnaby es erwartet hatte. Irgendjemand - er hatte Jemmie in Verdacht - strengte sich gewaltig an, um die Behausung ordentlich und einigermaßen rein zu halten. Mehr noch, in einem Topf auf der Fensterbank stand ein zerfledderter Veilchenstrauß, und der knallige Farbtupfer wirkte unpassend fröhlich in dem düsteren Zimmer.
In einem provisorischen Bett in der Ecke des Zimmers lag eine Frau. Penelope eilte an Jemmie vorbei zu ihr. »Mrs. Carter.« Ohne zu zögern ergriff sie die Hand der Frau auf der rauen Decke, umschloss sie sanft mit ihrer, obwohl die überraschte Mrs. Carter ihr die Hand gar nicht angeboten hatte. Penelope lächelte warmherzig. »Ich bin Miss Ashford aus dem Findelhaus.«
Die Miene der Frau hellte sich auf. »Natürlich. Ja, ich erinnere mich.« Ein sanftes Lächeln glitt über das hagere, von ständigen Schmerzen gepeinigte Gesicht. Einst war Mrs. Carter eine hübsche Frau mit rosigen Wangen gewesen. Aber der Körper im Bett war ausgezehrt, die Haut hing ihr förmlich an den Knochen, und die Finger lagen schlaff in Penelopes Händen.
»Wir sind nur gekommen, um nach Ihnen und Jemmie zu sehen, um uns zu versichern, dass alles so gut ist, wie es im Augenblick nur sein kann, und um Ihnen zu versichern, dass wir uns um Jemmie kümmern werden, wenn die Zeit gekommen ist. Sie müssen sich keinerlei Sorgen machen.«
»Vielen Dank, meine Liebe.« Mrs. Carters Zustand war schon viel zu schlecht, um noch die gebührende Ehrfurcht vor Penelopes gesellschaftlichem Rang empfinden zu können. Lächelnd wandte sie den Blick zu ihrem Sohn. »Er ist ein guter Junge. Er hat sich so viel um mich gekümmert.«
Ungeachtet ihres körperlichen Zustands gab das Leuchten in Mrs. Carters blauen Augen zu erkennen, dass sie noch nicht so weit war, diese Erde zu verlassen. Es würde ihr noch ein wenig Zeit mit ihrem Sohn bleiben.
»Lassen Sie mich erzählen, was Jemmie tun wird, wenn er erst einmal bei uns ist.« Penelope skizzierte kurz die Prozedur, die Jemmie durchlaufen würde, wenn er Waise geworden war, und berichtete lebhaft über die Aktivitäten und Möglichkeiten, die das Findelhaus den ihm anvertrauten Kindern bot.
Barnaby warf einen Blick auf Jemmie, der neben ihm stand. Der Junge hörte nicht zu, was Penelope erzählte; seine Augen klebten förmlich an seiner Mutter. Als es offensichtlich wurde, dass Penelopes Bericht die kranke Frau tatsächlich beruhigte, ließ auch die Spannung in Jemmies kleinem Körper nach.
Als er wieder aufs Bett schaute, spürte Barnaby wieder diesen ungewohnten Klammergriff um seine Brust. Er konnte sich nicht vorstellen, seine Mutter sterben zu sehen, schlimmer noch, mit eigenen Augen ansehen zu müssen, wie sie von Tag zu Tag mehr an Auszehrung litt. Und noch weniger konnte er sich vorstellen, all das allein durchstehen zu müssen.
Eine völlig unerwartete Dankbarkeit seiner Familie gegenüber -selbst für seine Mutter, deren weibliche Entschlossenheit ihn gelegentlich sehr anstrengte - gesellte sich zu einem gewissen Respekt für Jemmie. Der Junge kämpfte sich durch, kämpfte sich beachtlich durch eine Situation, der Barnaby nicht ins Auge blicken mochte ... die er sich noch nicht einmal vorstellen konnte.
Wieder ließ er den Blick über Jemmie schweifen. Sogar im armseligen Licht der Behausung war die unnatürliche Dürre seines Körpers unverkennbar.
»Nun, so wird es geschehen.« Penelope lächelte freundlich und musterte Mrs. Carters Züge. »Wir werden Sie jetzt allein lassen. Aber seien Sie versichert, dass wir Jemmie holen werden, wenn die Zeit gekommen ist.«
»Danke, meine Liebe.« Mrs. Carter beobachtete Penelope, die sich aufrichtete. »Ich bin so glücklich, meinen Jemmie bei Ihnen zu wissen. Ich bin mir sicher, dass Sie sich gut um ihn kümmern.«
Penelopes Lächeln vertiefte sich kaum merklich. »Das werden wir.«
Sie drehte sich zur Tür.
Das Zimmer war so überfüllt, dass Barnaby sich an die Seite zwängen musste, um sie passieren zu lassen. Bevor er sich an ihre Fersen heftete, warf er einen letzten Blick auf Mrs. Carter und neigte den Kopf. »Ma’am. Wir werden dafür sorgen, dass Jemmie in Sicherheit ist.«
Während er sich zur Tür wandte, bemerkte er, dass Jemmies Aufmerksamkeit ganz seiner Mutter galt. Er berührte den Jungen an der Schulter. Als der Bursche aufschaute, deutete er in den
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