Im Feuer der Nacht
machen, all das auszublenden, was sie nicht sehen wollte, und gleichzeitig all das in sich einzusaugen, was neu und bisher unbekannt für sie war.
Barnaby bezweifelte ernsthaft, dass jemals zuvor die Tochter eines Viscounts mit den Anwohnern der Petticoat Lane auf Tuchfühlung gegangen war.
Umgekehrt musterten die genannten Anwohner sie mit eindringlichen Blicken, schienen aber keinerlei Verdacht zu schöpfen. Der Saum ihres Rockes war kürzer, als der gute Geschmack es eigentlich erlaubte, kitzelte kokett den oberen Rand ihrer abgetragenen halbhohen Stiefel; ihre eng taillierte Jacke betonte die schlanke Figur, während die weit klaffenden Jackenaufschläge einen provozierenden Blick auf ihre Brust gewährten - all das zusammen mit ihrem angeborenen Selbstvertrauen und einer aufrichtigen Freude an allem, was sie sah, machte es nicht verwunderlich, dass die Einheimischen ihre Verkleidung ohne Weiteres schluckten, nicht zu vergessen, dass sie den örtlichen Akzent perfekt beherrschte und damit ihrer Akzeptanz das Siegel aufdrückte.
Zum Glück schöpften die Leute auch bei seiner Verkleidung keinerlei Verdacht. Mit strenger Miene und einer deutlichen Warnung in seinen Gesichtszügen hielt er sich dicht an Penelopes Schulter und sah aus wie ein Racheengel auf Abruf. Kein Racheengel hatte jemals so finster und bedrohlich gewirkt wie er, noch nicht einmal Luzifer persönlich. Es fiel ihm nicht schwer, eine solch bedrohliche Miene aufzusetzen; denn sie entsprach genau seinen Empfindungen.
Als ein schmieriger Taschendieb sich zu nahe an sie heranwagte, bekam er es mit Barnabys Schulter und mit einem starrenden Blick aus seinen blauen Augen zu tun. Mit aufgerissenen Augen rückte der Mann ab und tauchte kurz darauf in der Menge unter.
Stokes hielt sich neben Barnaby. Unmittelbar vor ihnen staunten Penelope und Griselda über billigen Flitterkram an einem baufälligen Stand.
Stokes ließ den Blick über die wogenden Köpfe der Menge schweifen. »Wie wäre es, wenn du mit Penelope diese Seite übernimmst, während Griselda und ich uns um die andere kümmern?«
Barnaby schaute Penelope an und nickte. »Figgs, Jessup, Sid Lewis und Joe Gannon ... das sind die Kerle, denen wir heute auf den Fersen sind.«
Stokes nickte. »Wir sollten in der Lage sein, die Spur dieser vier aufzunehmen, entweder hier oder in der Brick Lane. Das hier ist ihr Terrain, und die Leute werden sie kennen. Aber dräng sie nicht zu sehr ... das gilt auch für Miss Ashford.«
Barnaby brummte ein paar Worte in sich hinein. Viel lieber hätte er von Stokes gehört, wie er das nur anstellen sollte. Denn er hatte keinerlei Macht über Penelope ... sie befand sich vollkommen außerhalb seiner Kontrolle.
Die Vorstellung, in seiner gegenwärtigen Verkleidung eine Frau im Zaum zu halten, die ebenso verkleidet war wie er, brachte ihn auf eine Idee. Wie ein Fünkchen, das ihm das Überleben sichern würde ... der Strohhalm, an den er sich klammern konnte. Als Stokes ein paar Schritte nach vorn machte und ..Griselda mit sich zog, sprang Barnaby in die Lücke, schnappte sich Penelopes Hand und zog sie weiter zum nächsten Stand.
»Was ist los?« Sie starrte ihn an.
Er erläuterte ihr Stokes’ Plan und deutete dann mit einer Geste die Reihe der Stände entlang. »Das ist unsere Seite, und wir müssen vorankommen. Aber jetzt, wo wir uns aufgeteilt haben, müssen wir auch dicht beieinanderbleiben. Also werde ich die Rolle des eifersüchtigen Liebhabers spielen, der grimmig die Minuten zählt, die Sie mit den Kinkerlitzchen verbringen.«
Sie starrte ihn noch eindringlicher an. »Warum?«
»Weil das eine Rolle ist, die die Einheimischen kennen ... und akzeptieren werden.« Und es würde ihn keinerlei Anstrengung kosten, diese Rolle überzeugend zu spielen.
Penelope schluckte verlegen und warf ihm einen Blick zu, der klarmachte, dass sie nicht wusste, ob sie ihm glauben sollte oder nicht.
Er beantwortete ihre Frage, indem er seinen Arm um ihre Hüfte schlang und sie an seine Seite zog. Sie versteifte sich, ein zorniges Funkeln im Blick, aber er grinste boshaft und tippte ihr mit dem Finger an die Nasenspitze - und stürzte sie damit vollkommen in Verwirrung.
»Keine Blumenverkäuferin aus Covent Garden würde so reagieren«, murmelte Barnaby, »Sie haben die Rolle für sich beansprucht, nun müssen Sie sie auch spielen.«
Sie musste sich zur Entspannung zwingen. Nach und nach gelang es ihr auch. Sie schlenderten an den Ständen entlang, hielten hier und
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