Im Feuer der Nacht
konnten.
Nachdem sie mit der Gestalt zufrieden war, in die sie Penelope verwandelt hatte, musste sie ihre eigene Kleidung wechseln. »Ich habe beschlossen, dass die Leute eher mit mir sprechen werden, wenn ich darauf verzichte zu zeigen, dass ich mein Glück gemacht habe. Mag sein, dass ich mir Respekt verschaffe, wenn ich als erfolgreiche Putzmacherin über den Markt stolziere, aber trotzdem erntet man damit im East End keinerlei Sympathien.«
Auf dem Hocker vor Griseldas Frisierkommode sitzend, nutzte Penelope den Spiegel, um ihren Hut zurechtzurücken. Es handelte sich um eine altertümliche, dunkelblaue Samthaube, die schon bessere Tage gesehen hatte; aber mit einem Sträußchen Seidenblumen, die am Band befestigt worden waren, sah die Kopfbedeckung genauso aus wie die Gebilde, die eine Blumenverkäuferin in den Straßen um Covent Garden tragen würde.
Ihre Kleidung bestand aus einem langen Rock aus billigem, hellblauem Satin, einer ehemals weißen Bluse, auf der jetzt ein zarter Grauschleier lag, und einer verschlissenen Jacke aus schwarzem Twill mit großen Knöpfen.
Um die Bügel ihrer Brille hatten sie Bänder gewickelt und den Goldrand mit Wachs eingerieben, um ihn stumpf wirken zu lassen. Über einen flachen Korb, wie er zu ihrem Gewerbe gehörte, hatten sie gesprochen, den Gedanken aber verworfen; heute hatte sie keinerlei Interesse daran, irgendwelche Waren zu verkaufen.
Zufrieden betrachtete Penelope den Gesamteindruck. »Die Verkleidung ist großartig. Vielen Dank für Ihre Hilfe!«
Griselda ließ den Blick über sie schweifen, während sie die Kordeln eines alten Unterrocks um ihre Hüfte schlang. »Wenn Sie den Gefallen erwidern wollen, können Sie vielleicht meine Neugier lindern«, meinte sie zögerlich.
Penelope schwang auf dem Stuhl herum und breitete die Hände aus. »Fragen Sie nur.«
Griselda griff nach dem Rock, den sie sich ausgesucht hatte. »Ich habe vom Findelhaus gehört, von den Kindern, die dort aufgenommen werden, und von der Ausbildung, die sie dort bekommen. Dem Vernehmen nach haben Sie das alles eingerichtet, zusammen mit Ihren Schwestern und einer Handvoll anderer Ladys. Und Sie sind immer noch die diensthabende Leiterin des Hauses.« Sie hielt kurz inne. »Meine Frage lautet: Warum machen Sie das? Eine Lady wie Sie hat es nicht nötig, sich die Hände an solchen Leuten schmutzig zu machen.«
Penelope zog die Brauen hoch, antwortete nicht sofort. Die Frage war ernst gemeint und verdiente eine ebenso wohlüberlegte wie ernste Antwort. Griselda musterte ihr Gesicht, bemerkte ihre Nachdenklichkeit und ließ ihr die Zeit.
Schließlich antwortete Penelope. »Ich bin die Tochter eines Viscounts und jetzt auch die Schwester eines sehr reichen Titelerben. Ich habe immer ein beschütztes Leben in Luxus verbracht, wo man mir meine Wünsche stets erfüllt hat, ohne dass ich auch nur den kleinen Finger zu rühren brauchte. Und dieses Leben lebe ich immer noch. Ich wäre unaufrichtig, wenn ich behaupten würde, dass es nicht ausgesprochen bequem ist. Aber es ist keine Herausforderung.«
Sie schaute auf und fing Griseldas Blick auf. »Wenn ich mich nur zurücklehnen würde und das Leben führen, wie es die Tochter eines Viscounts führen würde, wenn ich die Zügel schießen lassen würde, welche Befriedigung würde ich daraus ziehen?« Penelope hob die ausgebreiteten Hände. »Was hätte ich dann in diesem Leben erreicht?«
Sie ließ die Hände in den Schoß sinken und fuhr fort. »Es ist schön, reich zu sein. Aber es ist nicht schön, faul zu sein und nichts zu erreichen. Es ist nicht ... befriedigend, nicht erfüllend.«
Penelope atmete tief durch und spürte das Echo der Wahrheit in ihrem Innern. »Das ist der Grund, weshalb ich das tue, was ich tue. Warum Ladys wie ich das tun, was sie tun. Die Leute nennen es Wohltätigkeit, und ich glaube, die Menschen, um die wir uns kümmern, empfinden es auch so. Aber auch für uns spielt es eine wichtige Rolle. Es schenkt uns das, was wir sonst nicht erleben würden ... Befriedigung, Erfüllung und ein sinnvolles Leben.«
Griselda schwieg einen Moment, bevor sie nickte. »Danke. Das verstehe ich sehr gut.« Sie lächelte. »Und jetzt verstehe ich Sie viel besser, als es mir vorher gelungen ist. Ich bin froh, dass Stokes sich an mich erinnert und um Hilfe gebeten hat.«
»Wo wir gerade über Stokes sprechen ...« Penelope streckte einen Finger in die Luft; beide lauschten und hörten, unterdrückt, aber unverkennbar, das Glöckchen an
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