Im Feuer der Nacht
richten Sie Lady Calverton meine Grüße aus, und sagen Sie ihr, dass Miss Ashford und ich wegen einer dringenden Angelegenheit aufbrechen mussten. Es hat mit dem Findelhaus zu tun.«
Der Lakai verbeugte sich. »Sofort, Sir.«
Der Mann verschwand. Penelope wollte ihm folgen, aber Barnaby hielt sie zurück.
»Einen Moment.« Er wartete, bis er ihren Blick aufgefangen hatte. »Wir müssen Stokes auf der Stelle benachrichtigen. Es macht keinen Sinn, jetzt sofort zum Haus der Carters zu fahren. Wir müssen Stokes alarmieren, und dann müssen wir besprechen, wie wir uns am besten auf die Suche nach Jemmie machen.«
Ein paar Sekunden lang starrte sie ihm in die Augen - es schien, als suchte sie nach einer Bestätigung seiner Bemerkung, als vergliche sie seine Worte mit ihren Absichten, weil sie beides brauchte, um in dem plötzlichen Wirbel der Ereignisse einen sicheren Halt zu finden - bis sie schließlich tief einatmete und nickte. »Ja, Sie haben recht. Stokes kommt zuerst. Aber ich bin dabei.«
Barnaby unternahm keinen Versuch, sie abzuhalten. Im Lichte seiner erklärten Absicht und der Gründe, die sie gegen die Ehe ins Feld geführt hatte, wäre es der reinste Wahnsinn gewesen, jetzt einen Streit vom Zaun zu brechen. »Wir sollten so schnell wie möglich Lady Carlyle aufsuchen und uns entschuldigen«, sagte er stattdessen.
Stokes bewohnte eine Wohnung in der Agar Street, nicht weit vom Ufer der Themse entfernt. Barnaby hatte ihn schon oft dort besucht, aber als er mit Penelope ankam, fragte er sich, wie Stokes wohl reagieren würde, wenn eine Lady in seine privaten Räume eindrang.
Dagegen hegte er keinerlei Bedenken darüber, was Penelope wohl durch den Kopf gehen oder ob sie sich wegen des gesellschaftlichen Rangunterschieds unbehaglich fühlen würde. Wenn er sich überhaupt einer Sache sicher war, dann, dass sie die Angelegenheit recht locker nahm.
Als er mit ihr das Gebäude betrat und die Treppe hinaufstieg, überlegte er, dass er gerade einen weiteren Zug an ihr entdeckt hatte, der sie von den Ladys in den Salons unterschied.
Stokes’ Wohnung lag im ersten Stock. Barnaby klopfte; Stokes öffnete in Hemdsärmeln und ohne Kragen, und er hatte sich eine abgetragene Wolljacke über die Schultern geschlungen.
Überrascht musterte er den Besuch.
»Inspektor Stokes!« Penelope trat über die Schwelle und ergriff Stokes’ Hände. »Es ist etwas Schreckliches geschehen. Mrs. Carter, über die Adair Ihnen vermutlich berichtet hat, ist ermordet worden. Die Verbrecher haben Jemmie entführt.«
Im Bruchteil einer Sekunde veränderte sich Stokes’ Miene. Nicht verwirrt, sondern alarmiert schaute er Barnaby an.
Der zur Bestätigung nickte. »Lass uns reinkommen, damit wir alles besprechen können.«
Stokes trat zurück und bat seine Gäste in das kleine Wohnzimmer. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, deutete er auf die beiden Lehnstühle am Kamin und holte einen Stuhl mit gerader Lehne aus seiner Küche.
Den Stuhl stellte er vor die beiden Lehnstühle und setzte sich. »Wann ist es passiert?«
Penelope drehte sich zu Barnaby. »Ich weiß es nicht genau. Wir waren auf einer Soiree, als die Nachricht eintraf.« Sie wandte sich wieder an Stokes. »Ich habe angeordnet, dass ich über jede weitere Entführung unverzüglich in Kenntnis gesetzt werde, ganz gleich zu welcher Uhrzeit und wo ich mich aufhalte. Mrs. Keggs wird die Nachricht geschickt haben, sobald sie es selbst erfahren hat. Aber erst wird sie den Boten in die Mount Street geschickt haben, und von dort aus ist er dann zu Lady Carlyle gefahren.«
»Rechnen wir also eine Stunde, bis die Nachricht von Mrs. Keggs bei uns gelandet ist«, erklärte Barnaby, »und für den Weg vom East End nach Bloomsbury müssen wir sicher mehr als zwei Stunden veranschlagen.«
Penelope wühlte in ihrem Retikül und reichte Stokes die Nachricht. »Offenbar ist der Doktor vorbeigefahren, um nach Mrs. Carter zu sehen, und hat sie tot aufgefunden. Jemmie war verschwunden.«
Stokes las die Nachricht. »Es klingt, als wäre der Arzt überzeugt, dass Mrs. Carter keines natürlichen Todes gestorben ist.«
»In der Tat.« Penelope lehnte sich nach vorn. »Nun, was sollen wir unternehmen?«
Stokes warf einen Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims. Viertel vor elf. »Heute Abend können wir nicht mehr viel ausrichten. Aber ich werde den örtlichen Polizeiposten informieren. Die Männer hatten zwar ein Auge auf das Haus, aber weil niemand damit gerechnet hat, dass Jemmie oder
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