Im Feuer der Nacht
seine Berührung nicht im Geringsten nachgelassen hatte, wehrte sie sich nicht länger dagegen. Im Gegenteil, heute Abend hieß sie ihre Reaktion sogar willkommen, zog Kraft daraus - was, im Lichte der früheren Auseinandersetzung, keineswegs eine tröstliche Erkenntnis war.
Penelope drängte den Gedanken in den hintersten Winkel ihres Hirns zurück und gestattete es ihm, sie die Stufen hinaufzubegleiten. Auf dem schmalen Vorsprung blieb sie stehen und schaute ihn an, als sie ihm die Hand bot.
Barnaby ergriff ihre Hand, musterte ihre Augen, ihr Gesicht. »Morgen um neun hole ich Sie ab. Zuerst fahren wir zum Findelhaus, sodass Sie Ihre Angestellten beruhigen können. Dann fahren wir weiter zum Arnold Circus und werden dort so viel Zeit verbringen wie nötig, um all das zu erfahren, was es zu erfahren gibt.«
Penelope nickte. »Ich werde Sie um neun Uhr erwarten.«
Seine Lippen zuckten. »Versuchen Sie, ein paar Stunden zu schlafen.« Bevor sie begriff, was er im Schilde führte, hatte er ihre Finger gehoben und einen Kuss über ihren empfindlichen Handrücken gehaucht, heiß und verwirrend.
Und bevor sie Zeit gefunden hatte, ihre Empfindungen zu ordnen, wieder einen klaren Gedanken zu fassen, umschloss er mit der anderen Hand ihr Gesicht, hob es leicht an, während er einen Schritt nach vorn machte, den Kopf senkte und seine Lippen auf ihre drückte.
Diesmal war es ein sanfter Kuss, einer, der sich in Süße verströmte und gerade lang genug dauerte, um Penelope vollkommen aus der Bahn zu werfen.
Barnaby hob den Kopf, murmelte ein paar Worte, die er erhitzt über ihre inzwischen hungrigen Lippen hauchte. »Schlaf gut ... träum von mir.«
Ein Schauder der Vorahnung jagte ihr über den Rücken. Sie öffnete die Augen.
Barnaby griff an ihr vorbei nach der Klingelkordel. Sofort ertönten Leightons Schritte auf der anderen Seite der Tür.
Barnaby trat zurück und grüßte sie zum Abschied.
Hinter ihr wurde geöffnet. Barnaby nickte Leighton zu, drehte sich mit einem letzten Blick auf sie herum, stieg die Stufen hinunter und verschwand in der Nacht.
Ließ sie mit starrendem Blick zurück. Penelope hob die Hand und berührte ihre Lippen mit den Fingern, drehte sich ebenfalls um und trat ins Haus.
10
Es war um acht Uhr am nächsten Morgen in seinem heruntergekommenen Gebäude in der Weavers Street - tief in den östlichen Slums am nördlichen Ende der Brick Lane gelegen -, als Grimsby sich in der Verkleidung des Schulmeisters darauf vorbereitete, die neuesten Zöglinge seiner Einbrecher-Lehranstalt für verwaiste Jungen zu begrüßen, der Grimsby's Burglary School for Orphaned Boys.
Langsam schritt Grimsby vor den Jungen auf und ab, die sich in einer Reihe vor ihm aufgestellt hatten. Es waren sieben, nur einer weniger, als Smythe befohlen hatte; nur noch einer, und er würde sich endlich aus Alerts Fängen befreien können. Er war zufrieden, wie sich durch sein breites, onkelhaftes Lächeln zeigte. Schon vor langer Zeit hatte er begriffen, dass die Jungen auf offene Gefühle reagierten - schnell hatten sie gelernt, dass sie glücklich sein würden, wenn er auch glücklich war. Dann hatten sie daran gearbeitet, dass das Lächeln auf seinen Lippen nicht wieder verschwand.
Sogar im Sommer drang nur wenig Licht durch die verschmierten Fensterscheiben. Heute waberte der Nebel bleiern durch die Straßen, graues Dämmerlicht hing in den Räumen. Aber trotzdem waren alle - die Jungen, Grimsby und sein Gehilfe Wally - daran gewöhnt, bei dieser armseligen Beleuchtung zu arbeiten. Altes Stroh und der zugehörige Staub bedeckten die nackten Holzplanken auf dem Boden. Mit jedem Schritt wirbelte Grimsby noch mehr Staub auf.
Wally, ein ruhiger, unauffälliger Mann Mitte zwanzig, der mit unerschütterlicher Miene genau das tat, was Grimsby ihm befahl, stand im Schatten neben der Treppe. Er war mittelgroß, von mittelmäßiger Statur, mit faden Gesichtszügen - ein Mann, den man sofort vergaß, kaum dass man ihn gesehen hatte. In Grimsbys Augen war das und nichts anderes Wallys Stärke, war das der Grund, weshalb Smythe den Mann gestern mitgenommen hatte, um den letzten Zögling abzuholen.
Das Zimmer, das sich über die gesamte Etage erstreckte, war sparsam möbliert. An dem langen, schmalen Gestell, das an die Wand geschoben war, aßen die Jungen und arbeiteten manchmal. Die groben Bänke, auf denen sie saßen, waren daruntergeschoben, während die ungeputzten Blechnäpfe, aus denen sie aßen, und die Strohsäcke, auf
Weitere Kostenlose Bücher