Im Feuer der Nacht
seine Mutter sich in unmittelbarer Gefahr befinden, haben wir es nicht rund um die Uhr observiert.«
Penelopes Blick wirkte schmerzverzerrt. »Niemand konnte wissen, dass die Verbrecher sich zu solchen Taten hinreißen lassen würden«, gestand sie ein.
Stokes senkte den Kopf. »Ich werde dennoch ins Hauptquartier fahren. Es ist nicht weit. Die Behörde hat einen eigenen Kurier, und der wird den Wachtposten in der Liverpool Street alarmieren. Der Arzt wird das Verbrechen bereits gemeldet haben. Aber wenn Scotland Yard sich für die Sache interessiert, ist sichergestellt, dass der zuständige Sergeant sofort sämtliche Informationen einholt, die er irgendwie bekommen kann. Ich werde morgen hingehen und sehen, was er in der Hand hält und was ich sonst noch in Erfahrung bringen kann.«
Penelope drehte sich zu Barnaby. Er fing ihren Blick auf, brauchte keine Worte, um auszudrücken, was sie dachte und fühlte. Trotzdem ... er schüttelte den Kopf. »Es macht keinen Sinn, heute Abend noch ins East End zu fahren. Wir könnten nichts herausbekommen. Außerdem ist es sehr wahrscheinlich, dass wir in der Dunkelheit etwas übersehen oder Indizien vernichten.«
Penelope presste die Lippen zusammen. Ihr Blick wirkte immer noch schmerzverzerrt, aber sie nickte. »Sehr wohl. Aber wie Sie sagten, wir sollten Pläne machen.«
Das taten sie auch, gingen rasch die möglichen Ermittlungswege durch, besprachen, welche Leute sie verhören sollten. Außerdem musste diskutiert werden, wer welche Aufgaben übernehmen sollte; Stokes erklärte sich für die Formalitäten zuständig, während Penelope und Barnaby sich eher um die Nachbarn und die anderen Bewohner des East Ends kümmern wollten, sofern die vielleicht etwas bemerkt hatten.
Zwanzig Minuten später standen Barnaby und Penelope auf. Stokes griff nach seinem Übermantel, zog die Tür zu und begleitete seinen Besuch nach unten, wo sie sich trennten. Stokes eilte in Richtung Scotland Yard, während Barnaby Penelope in die wartende Droschke half.
Barnaby schloss die Tür. Die kühle Dunkelheit hüllte sie ein. Seufzend lehnte Penelope sich zurück, als die Kutsche sich in Bewegung setzte. »Stokes beherrscht sein Handwerk, nicht wahr?«, bemerkte sie kurze Zeit später.
»Sogar ganz ausgezeichnet.« In der Dunkelheit griff Barnaby nach ihrer Hand und umschloss sie mit seiner. Die Wärme seiner Haut schien in ihre Finger zu strömen, menschliche Wärme, die die nächtliche Kälte vertrieb. Er drückte sie vorsichtig, zuversichtlich. »Seien Sie versichert, dass der Fall nicht in besseren Händen sein könnte.«
Sie lächelte im Dunkeln. »Er ist Ihr Freund, möchte ich behaupten.«
»Stimmt. Aber was glauben Sie, wäre er auch dann mein Freund, wenn er sein Handwerk nicht beherrschte?«
Penelope lächelte breiter und schwieg einen Moment, bevor sie fortfuhr. »Ich fürchte, ich bin im Moment nicht in der Lage, Rätsel zu lösen.«
Wieder drückte Barnaby ihre Finger. »Ich spreche nur aus, was ohnehin offensichtlich ist.«
Ihre Brust fühlte sich an wie eingeschnürt. Aber seine Nähe ... diese zuverlässige Männlichkeit, die den Platz neben ihr ausfüllte ... entspannte und beruhigte sie. »Wo wir gerade über das Offensichtliche reden ...«
Mit einer geradezu beängstigenden Ruhe folgte er ihren Gedanken. »Wir müssen die Akten im Findelhaus noch einmal durchsehen und uns über jeden einzelnen Jungen Notizen machen, der in die Berechnungen unseres Lehrmeisters zu passen scheint. Ganz gleich, ob der Vormund demnächst sterben wird oder nicht.«
Penelope spürte, wie ihre Züge sich verhärteten. »Wir dürfen keinerlei Risiko eingehen, dass wieder ein Junge entführt wird, wie es mit Jemmie geschehen ist. Um keinen Preis.«
Sie schwiegen eine ganze Weile. Als er wieder das Wort ergriff, klang es, als hätte er diesmal nicht nur ihre Gedanken, sondern auch ihre Gefühle und Ängste gelesen. »Wir werden Jemmie zurückholen. Das verspreche ich Ihnen.«
Penelope schloss die Augen, beschwor sich stumm, dass er ihr doch nur das versprach, was sie unbedingt hören musste. Aber die feste Entschlossenheit, die in seiner Stimme durchklang, machte es so leicht, ihm zu glauben ... ihr ganzes Vertrauen in ihn zu setzen. Zu glauben, dass sie Jemmie gemeinsam zurückholen würden.
Sie musste einfach daran glauben.
Ein paar Minuten später hielt die Droschke vor dem Haus der Calvertons. Barnaby öffnete die Tür, stieg aus und half ihr aus dem Wagen. Obwohl ihre Reaktion auf
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