Im finsteren Wald
weiter Karin an, bewegte die Lippen und formte mühsam Worte. Karin beugte sich zitternd noch näher zu ihm und hielt ihr Ohr über seinen Mund. Dabei schluchzte sie und Tränen schossen in ihre Augen. Beinahe hätte sie sich auf seiner Brust abgestützt, im letzten Moment konnte sie den Arm zurückziehen.
„Verschwinde“, hauchte Peter.
Eine Träne fiel auf sein Gesicht. Er schien keine Schmerzen zu haben, nur sehr schwach zu sein. Matt hob sich seine Hand. Karin ergriff sie, drückte und streichelte sie und weinte nun lauthals. Sie sah nur noch verschwommen, Tränen verschleierten den Blick. Peters Jacke stand offen und um den hölzernen Stiel, der aus seiner Brust ragte, färbte sich der Pullover rot, blutrot.
„Ich ...“, sie schluchzte, „ich muss dir helfen! Peter, ich ... Du ...“
Ihr Herz schlug heftig und die Gedanken flatterten in ihrem Hirn wie Motten um ein Licht. Sie musste Peter helfen! Sie musste die Wunde versorgen! Konnte sie das? Sie musste ihre Tochter finden! Sie musste Hilfe holen! Sie musste ... Sie wusste nicht, was sie tun musste!
Peters drückte schwach ihre Hand, dann öffneten sich die Finger wieder etwas und erschlafften, in seinem Hals gurgelte es. Ein dünnes rotes Rinnsal lief ihm aus dem Mund. Seine Augen sagten noch einmal ich liebe dich, dann schlossen sich langsam und leicht zitternd die Lider. Rasselnd hob und senkte sich der Brustkorb in kurzen Stößen, mit ihnen bewegte sich der Speer, bis sich plötzlich nichts mehr bewegte. Stille trat ein, nur ihr eigenes Schluchzen dröhnte Karin in den Ohren. Der an ein Lachen erinnernde Schrei einer Elster schreckte sie aus der Erstarrung auf.
„Peter?“
Seine schlaffen Finger glitten aus ihrer Hand und fielen zu Boden, Karin flüsterte erstickt: „Peter?“
Er rührte sich nicht und Karin packte Wut. Sie griff mit beiden Händen die Schultern ihres Mannes und schüttelte ihn, rief: „Peter! Sag was! Lass mich nicht hier allein! Peter, wir müssen doch Tina finden, Peter!“
Ihre Wut schwenkte um, richtete sich auf den Verursacher dieses Unglücks, auf den Fremden, auf den Speerwerfer, der ihnen das angetan hatte.
„Warum?“, schrie sie wahllos in eine Richtung in den Wald. „Warum, verdammt!“
Ein erneutes Schluchzen schüttelte sie durch. Ruckartig stand sie auf, sah sich um. Sie musste etwas tun. Konnte sie Peter so liegen lassen? Er lag so friedlich da.
„Peter, halte aus, warte hier auf mich, ich hole Hilfe. Hörst du? Ich hole Hilfe!“
Karin lief los, stockte nach einigen Metern, sie musste doch in die andere Richtung, durch die Schonung zurück, oder? Sie sah die Umgebung noch immer unscharf durch Tränen hindurch. Taumelnd stolperte sie über einen am Boden liegenden Ast, fing sich wieder, lief gegen einen Baum und stieß sich vom Stamm weg. Sie war so erschöpft, aber sie musste weiter. Eine Waldhimbeerranke streifte ihre Hose und verhakte sich darin. Seltsame Gestalten traten hinter Bäumen hervor. Wer waren die Leute? Etwas flog auf sie zu. Ein ... Netz? Ein grobes Netz aus Stricken? Was sollte das? Sie strauchelte erneut, fiel zu Boden und bekam etwas an den Kopf. Es dröhnte und Schwärze löschte alles aus.
8
Constanze, die Besitzerin der Pension „Zum alten Berg“ konnte ihren Namen nicht ausstehen. Ihr Vater war ein Liebhaber von Mozarts Musik gewesen und hatte darauf bestanden, seine Tochter nach Maria Constanze Caecilia Josepha Johanna Aloisia Mozart, gebürtige Constanze Weber, Sopranistin und Ehefrau von Wolfgang Amadeus Mozart zu nennen. Er hatte sie auch immer Constanze genannt, während ihre Mutter sie nur Conni rief. In der Schule gab es einige Mitschüler, die sie mit Sprüchen wie: tanze tanze, con aus Konstanz genervt hatten.
Constanze seufzte, allerdings nicht wegen ihres Namens, sondern wegen der Urlauberfamilie, die im Wald wandern wollte und sich in Gefahr begab. Doch sie konnte ihnen nicht helfen oder sie warnen. Mit welcher Begründung könnte sie sie davon abhalten, in den Wald zu gehen? Und wenn sie nur allgemein vor dem Wald warnte, würde man sie für eine verschrobene Alte halten und trotzdem im Wald herumlaufen. Also hielt sie lieber den Mund.
Als die Sonne sich dem Horizont zuneigte, kam mit den kälteren Temperaturen auch Nebel auf, der das Dorf einhüllte. Am Abend versammelte sich ein Großteil der Einwohner von Craula in der Gaststube. Es waren alles ältere Semester von vierzig Jahren an aufwärts. Trotz der vielen Menschen, die den Raum ausfüllten,
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