Im finsteren Wald
Junge Fichten waren hier angepflanzt worden, die dünnen Stämme standen dicht an dicht, es herrschte beinahe Finsternis zwischen ihnen.
„Lass uns dort nachsehen, da waren wir noch nicht“, sagte er ruhiger und zeigte auf die Schonung. „Vielleicht versteckt sich Tina wirklich nur und dort wäre ein ideales Versteck.“
Karin schnappte nach Luft und wollte aufbrausen. War Peter verrückt? Nach den vielen Stunden glaubte er noch immer, ihre Tochter würde sich bloß verstecken? Niemals hätte sie so lange durchgehalten, auf keinen Fall. Dann sah sie seinen Blick; Hoffnungslosigkeit, in der ein Tropfen Hoffnung schwamm. Sie seufzte, versuchte, seinen Worten Glauben zu schenken, auch wenn sich alles in ihr dagegen sperrte und strich ihm über das verschwitzte Haar.
„Dann komm!“
Zu trinken hatten sie nichts mehr und Karin brannten die Füße. Sie versuchte, mit der Zunge die Lippen zu benetzen, doch sie schabte nur wie mit einem trockenen Stück Schwamm über die rissige, dünne Haut. Die Füße kamen ihr doppelt so schwer vor wie normal, es bereitete Mühe und kostete viel Kraft, sie bei jedem Schritt zu heben. Angeekelt strich sich auch Karin Spinnweben aus dem Gesicht, Schweiß und Schmutz bildeten einen schmierigen Film auf der Haut. Sie gingen zur Anpflanzung und sie sagte: „Wenn wir Tina dort auch nicht finden, müssen wir zurück ins Dorf und die Polizei rufen, in Ordnung?“
Peter nickte matt. Dann drang er in die Schonung ein und rief: „Tina! Wo bist du?“
Karin tat es ihm nach, sie verteilten sich, verloren den Sichtkontakt. Hier wurde das Vorwärtskommen zur Qual, die Bäume standen eng zusammen, Äste und Zweige verringerten den freien Durchgang weiter, Unterholz behinderte sie und produzierte eine Stolperfalle nach der anderen. Es knackte und raschelte, als wären sie eine Horde Büffel, die sich gewaltsam einen Weg durch Urwald oder Dschungel bahnten. Zum Glück war die Schonung nicht breit und Peter kam als Erster auf der anderen Seite wieder heraus. Karin verließ das Spalier junger Bäume etwa zwanzig Meter links von ihm, atmete auf, froh, diese Anstrengung geschafft zu haben und seufzte, da von Tina weiter jede Spur fehlte. Matt und der Hoffnung beraubt, blieb sie stehen. Was nun? Mit Grausen dachte sie an den Rückweg, an die Polizei, die erst endlos Fragen stellen würde, ehe sie eine Suche ins Leben riefen, dachte an die fragenden Blicke und Kommentare der Dorfbewohner, an die einsame Rückfahrt im Auto mit leerer Rückbank. Nein, daran wollte sie jetzt nicht denken.
Sie hörte ein Geräusch, es klang wie ‚wusch‘, dann ein ‚wump‘ und ein Stöhnen. Sie sah nach links zu Peter, der langsam zusammensackte.
„Was ist?“, rief sie und eilte zu ihm. Peter lag halb auf dem Rücken, halb auf der Seite, etwas ragte aus seiner Brust heraus. Karin verstand nicht, was sie sah. Sie beugte sich zu ihrem Mann herunter und fragte: „Peter? Was ist mit dir? Bist du gestürzt?“
Peter riss den Blick von dem Ding los, das aus seiner Brust ragte und schaute Karin aus großen Augen an, die sich langsam zu trüben begannen. Er öffnete den Mund und bewegte die Lippen. „ ...eer“, hörte Karin.
„Peter! Was?“
„Speer“, flüsterte er.
„Karin nahm seinen Kopf in beide Hände. „Peter, was ist passiert? Peter?“
Nur langsam dämmerte ihr, was geschehen war. Sie nahm den Schaft wahr, wollte nach ihm greifen, doch sie konnte sich nicht überwinden. Karin traute sich nicht zu, ihn aus Peters Oberkörper herausziehen zu können. Fahrig strich sie über seine schweißige Stirn. Ihre Hand zitterte und in ihrem Kopf vermischten sich Gedanken über Unfälle, Verletzungen und Erste Hilfe Maßnahmen zu einem bunten Brei.
„Was soll ich tun? Peter? Was machen wir denn jetzt?“
Ihr kamen Filmszenen in den Sinn, Ausschnitte, in denen ähnliche Szenarien vorkamen, War sie noch in der Realität? Sie warf einen schnellen Blick in die Runde. „Hilfe! Ist da jemand? Helfen Sie uns!“
Dann erst wurde ihr bewusst, dass ein Fremder einen Speer auf Peter geworfen hatte. Irgendjemand hatte Peter angegriffen und verletzt. Der Fremde würde ihnen nun sicherlich nicht plötzlich helfen, eher schwebte auch sie in Gefahr, in Lebensgefahr. Das war ihr jetzt im Augenblick aber völlig egal. Sie spürte keine Angst, jedoch grenzenlose Hilflosigkeit. Was sollte sie nur tun?
Peter röchelte und begann zu zucken. Er schien keine Luft zu bekommen, sein Gesicht verzog sich und lief rot an. Er blickte
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