Im finsteren Wald
herrschte Schweigen. Eine gespannte, erwartungsvolle Stimmung hing in der stickigen, rauchigen Luft. Hin und wieder wurde ein Bierglas an Lippen gehoben, Zigaretten glühten auf, wurden ausgedrückt und gleich wieder neue angezündet, doch niemand sagte ein Wort. Alle schienen auf etwas zu warten, die Zeit verging schleppend langsam.
Punkt zehn Uhr sagte Constanze plötzlich: „Sie sind fort. Sie kommen nicht zurück.“
Jemand seufzte, Schultern sanken nach unten, Rücken krümmten sich plötzlich wie unter einer Last. Gläser wurden an Lippen gehoben, um den Moment der Verlegenheit zu überspielen, und, um nichts sagen zu müssen. Die Worte der Wirtin wirkten wie ein Signal, das die Erwartung, die Anspannung löste, aber nicht im positiven Sinne, eher wie eine schlechte Nachricht.
„Also wieder das übliche Programm“, sagte der alte Rupert mehr feststellend als fragend. Er nuschelte undeutlich und sog an seiner Pfeife. „Wir lassen das Auto und alle Klamotten verschwinden und sie waren nie hiergewesen.“
„Nein, das geht nicht, ge?“, entgegnete Constanze und schüttelte dazu energisch den Kopf. „Diesmal müssen wie es anders machen. Alles verschwinden lassen, ja. Es darf wie immer keine Spuren geben. Aber wenn Fragen aufkommen, sagen wir, sie waren hier und sind ganz normal wieder abgereist. Ge? Wohin? Keine Ahnung, sicherlich nach Hause zurück.
Sie haben die Zimmer übers Internet gebucht, es gab Mailaustausch, das hinterlässt Spuren, die Angehörige oder die Polizei nachverfolgen können, ge? Also waren sie hier, hatten einen schönen Urlaub und sind wieder fortgefahren. Ge?“
„Alles klar.“
„Werden das nicht ein bisschen viele Leute in den letzten Monaten und Jahren, die ausgerechnet hier in dieser Gegend verschwinden?“, eine hübsche Frau in den Vierzigern, die die Hand ihres Mannes hielt, schüttelte den Kopf. „Vielleicht sollten wir“, sie sah in die Runde, „noch einmal bewaffnet den Wald durchkämmen und versuchen, SIE zu finden und zu dezimieren.“
Das ‚SIE‘ sprach sie aus, als spräche sie von unheimlichen Wesen, Dämonen oder Monstern und sie senkte die Stimme dabei, als befürchtete sie, diese Monster könnten sie hören und daraufhin etwas Schreckliches jedem von ihnen antun. Ihr Mann zuckte die Schultern, sagte aber nichts dazu. Einige murmelten. Der Sohn des Kuhbauern, der als einziger noch Milchvieh besaß, fuhr sich über den Schnauzbart. „Schade um die Kleine“, murmelte er. Sein Kompagnon, Schnauzbart zwei, nickte zustimmend.
Rupert schüttelte den Kopf und sein Nachbar am Tisch und in der Straße sagte: „Das haben wir doch schon, unsere Väter und Großväter haben es auch getan, sie suchten und suchten, aber erfolglos. Nie wurden SIE gefunden, dafür gab es weitere Verschwundene aus den Suchtrupps. Es wird nie aufhören. Wir können uns nur an die Regeln halten und uns und unsere Kinder vom Wald fernhalten.“
„Vielleicht besitzen sie wirklich übersinnliche Fähigkeiten“, sagte die alte weißhaarige Elsa und bekreuzigte sich.
Kurz redeten alle durcheinander und einen Moment schien es, als würde Streit aufkommen. Die Wirtin klatschte in die Hände und reichte eine Runde Kräuterschnaps auf einem Tablett durch die Menge, den sie wohlweislich schon vorbereitet hatte.
„Es sei, wie es sei, Leute, wir können nichts anderes tun. Ge? Trinkt und haltet euch an die Abmachung. Prost.“
„Gott sei ihren armen Seelen gnädig.“
9
Rothaar saß auf dem harten Holz des Käfigs und wimmerte leise. Sie fühlte keine Schmerzen, verspürte aber nagenden Hunger, der in ihren Eingeweiden wühlte und brennenden Durst. Die Finger um die hölzernen Gitterstäbe gelegt, starrte sie böse zu den anderen.
Erste hatte sie in den Käfig gesteckt, in dem sie die Opfer hielten, bis sie zur Opferung bereit waren. Und das nur, weil sie nicht alle Beeren, die sie gefunden hatte, der Gemeinschaft übergeben hatte. Zu groß war die Versuchung nach ihrer erfolglosen Jagd gewesen, einen Teil der köstlichen blauen Kugeln selbst zu essen. Aus Ärger darüber, das Rehkitz nicht bekommen zu haben, war aus einem kleinen Teil Beeren, den sie naschen wollte, fast der ganze gesammelte Vorrat geworden. Wieder zu den anderen zurückgekehrt, konnte sie nur noch eine Handvoll abgeben. Ihr blau gefärbter Mund verriet, was mit den meisten Früchten geschehen war und dafür bekam sie eine Strafe.
Nun musste sie im engen Holzkasten ohne Essen und Trinken ausharren, bis sie
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