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Im finsteren Wald

Im finsteren Wald

Titel: Im finsteren Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiko Grießbach
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wieder hinaus durfte. Sie hatte etwas falsch gemacht oder den Fehler begangen, sich dabei erwischen zu lassen. Es gab eine Reihe von Bestrafungen in ihrer Gemeinschaft, eine davon war es, im Käfig eingesperrt zu werden, bis Erste der Meinung war, die Strafe sei um. Zweite hatte der Strafe zugestimmt, also gab es keine Möglichkeit, dem Käfig zu entkommen.
    Die anderen warfen manchmal Blicke zu ihr hinüber. Mitleidige und hämische Blicke trafen sie, aber keine half oder steckte ihr etwas zu. Mit ein paar Früchten hätte sie Hunger und Durst besänftigen können, doch so knurrte ihr Magen und die Zunge lag trocken im Mund wie ein Stück Trockenfleisch. Auch das gehörte zur Bestrafung dazu. Als einmal Großbrust mit dem Käfig bestraft worden war, hatte sie auch nur geschaut und die Eingesperrte mit einem Stock geärgert. Nun war eben sie an der Reihe und musste sich mit Hunger, Durst und der Enge des aus Ästen und Zweigen geflochtenen Gefängnisses abfinden. Sie versuchte zu schlafen, um die Zeit zu überbrücken, die sie im Käfig verbringen musste. Wenn sie es schaffte, einzuschlafen, würden in dieser Zeit Hunger und Durst sie in Ruhe lassen und die Bestrafung war schneller vorbei. Nur hatte sie noch nie auf Wunsch einschlafen können, außerdem war sie nicht müde und der Hunger ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Die Gedanken kreisten und sie fragte sich zum wiederholten Male, ob das alles war, was ihr Leben ausmachte. Jagen, Sammeln, Ausruhen, Essen, Schlafen. Gab es nichts weiter? Langsam verwirrten sich ihre Gedanken und glitten ab in Träume. Sie träumte, draußen in der anderen Welt zu sein, dort, wo die bösen Menschen lebten und wo Monster hausen sollten.
    Als sie aufschreckte, trugen einige Frauen ein neues Opfer in die Höhle und Freude durchfuhr Rothaar, denn sie besaßen nur einen Käfig. Sie würde freikommen, um Platz zu schaffen für das Opfer.
    Sie sah, dass es sich um einen Mann handelte. Er bewegte sich nicht und hing wie ein totes Tier in den Händen der Frauen. Er hatte helles Haar und eine gerade Nase. Seine Oberhülle, die anders aussah als die Felle, in die sie sich kleideten, und ein Behältnis wurden in eine Ecke gelegt, dann trugen die anderen ihn zum Käfig. Erste öffnete die grob aus Ästen gefertigte Tür, ein nur eingehaktes Gitter, das sie, Rothaar, auch hätte selbst öffnen können. Die Strafe dafür wäre allerdings so schmerzhaft gewesen, dass noch keine Bestrafte es gewagt hatte, von allein wieder aus dem Käfig zu kommen. Auch Rothaar hatte nicht einen Moment daran gedacht, ihre Strafe von selbst zu beenden.
    Erste winkte ihr, herauszukommen und ließ den Mann in den Käfig legen.
    Rothaar dehnte und streckte sich und fauchte als erstes die anderen an, weil sie ihr keine Nahrung gegeben hatten. Diese holte sie sich nun selbst, aß ein Stück Fleisch und trank sich satt. Anschließend widmete sie sich der Reinigung ihres Körpers und ihres Haars. Dabei verschwand sie nur kurz nach draußen und – wieder in der Höhle – ließ sie das Opfer nicht mehr aus den Augen. Sie freute sich. Nach langer Zeit war dies die erste größere Beute, die zu fangen ihnen gelungen war, nachdem auch sie selbst kein Glück mit dem Rehkitz hatte. Nun konnte die kalte Zeit kommen, ohne, dass sie würden hungern müssen. Das war gut und das war wichtig!
    Rothaar ging hinüber zu Kurznase und setzte sich zu ihr. Sie brauchte jetzt etwas Zuneigung und menschliche Wärme, und mit Kurznase, die ein oder zwei Kälteperioden jünger als sie war, hatte sie den meisten Kontakt. Auch wollte sie sich über den Mann, den sie gefangen hatten, austauschen. Rothaar lehnte sich an sie und wollte einen Arm um den Oberkörper der jungen Frau legen, die ebenso schlank und mager wie sie selbst war.
    Doch Kurznase, die sich ihr Haar mit dem Messer kurz hielt und einer sehr kurzen, flachen Nase ihren Namen verdankte, schob sie fort. Sie streifte den Arm, den Rothaar um sie gelegt hatte ab, stand auf und ging zu Großbrust; zu der Frau, der sie ihre Existenz verdankte. ‚Mutter‘ hieß das Wort in der Sprache da draußen, erinnerte sich Rothaar. Großbrust war die Mutter von Kurznase. Für sie, Rothaar, galten alle Frauen der Gruppe gleich, natürlich mit Ausnahme von Erste und Zweite, bei denen alle tun mussten, was sie sagten. Sie waren die Führerinnen der Gemeinschaft.
    Ihre eigene Mutter hatte Rothaar nie zu Gesicht zu bekommen, sie war bei der Geburt tot geworden. Die Gruppe hatte es ihr gesagt und kümmerte

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