Im Fischernetz (German Edition)
einmal streckte er zögernd eine Hand aus. Er holte tief Atem und biss sich auf die Lippe, dann legte er seine Hand ganz leicht auf Sayains . Alvar fühlte die schlanken Finger unter seinen ganz leicht beben. Sayain sah ihn an, seine hellen Augen wirkten auf einmal sehr groß.
Alvar hielt den Atem an. Sayains Haut fühlte sich seltsam an. Trocken und warm und weich wie Seide. Und waren da Schuppen auf dem Handrücken? Es war beinahe so wie die Haut der zahmen Schlange, die er auf einem Markt in Ombia berührt hatte. Sayain zog seine Hand nicht zurück, und Alvar verstärkte sanft den Druck seiner Finger.
»Du wollen reden über Traum? Erzählen? Vielleicht leichter, wenn... teilen ?«
Alvar sah, wie Sayain schluckte und auf seiner Unterlippe herumkaute. Schließlich schüttelte der Hellhäutige den Kopf.
»Ich weiß nicht. Ich will dich nicht damit belasten .« Er zuckte die Achseln. »Ist lange her .«
Alvar machte keine Anstalten, Sayains Hand loszulassen. Ganz behutsam ließ er den Daumen über die glatte weiße Haut streichen. Sayains Blick wanderte zu Alvars Hand. Fragend. Irritiert.
Alvar lächelte, aber innerlich stieß er einen stummen Seufzer aus, als er langsam Sayains Hand losließ.
»Entschuldige«, murmelte er und senkte den Blick. Sayain sollte nicht sehen, dass ihm das Blut in die Wangen schoss. Sein Gesicht brannte.
»Schon gut«, sagte Sayain sanft, »ich weiß, du möchtest mir helfen...« Er schien sich einen Ruck zu geben.
»Vielleicht sollte ich doch... teilen«, sagte er nach einer Weile und starrte in die Kerzenflamme. Alvar rutschte ein wenig näher an Sayain heran.
»Ich zuhören«, sagte er. »Du reden . Reden macht heil, sagen Clanmutter .«
Sayain lächelte. »Und Lügen verletzen. Ich weiß, ich weiß das sehr gut .«
Er schien mit sich zu ringen. Alvar zügelte seine Ungeduld. Er wollte nicht fragen, nicht drängen, er wusste, dazu hatte er kein Recht. Aber vielleicht würde Sayain nicht nur über seinen Alptraum reden, sondern auch über die eigenartige Geschichte, die er ihm aufgetischt hatte. Es dauerte eine Weile, dann riss Sayain seinen Blick von der Kerze los und sah Alvar an. Noch immer wirkten seine Augen in dem schmalen Gesicht riesig. Als diese Augen sich plötzlich mit Tränen füllten, dachte Alvar gar nicht mehr nach. Er legte Sayain seinen Arm um die Schultern und zog ihn an sich wie einen jüngeren Bruder.
»Was ?« fragte er sanft. Er hoffte, dass Sayain verstand. In diesem Augenblick verfluchte er es, dass er nie versucht hatte, andere Sprachen als seine Muttersprache zu sprechen. Was hast du? Was quält dich? Warum bist du allein?
Alvar spürte, dass Sayain tief durchatmete. Langsam begann er zu sprechen.
SAYAINS GESCHICHTE
Sayain zitterte, als Alvar den Arm um seine Schultern legte. Alvar saß einfach nur da und hielt ihn, es fühlte sich nicht schlecht an. Unschuldig. Brüderlich. Und doch so fremd. Wann hatte ihn das letzte Mal jemand umarmt? Musste erst dieser Fremde hier auftauchen, damit ihm klar wurde, dass er es vermisst hatte? Hatte er überhaupt gewollt, dass es ihm klar wurde?
Sayain atmete noch einmal tief durch, leckte sich die trockenen Lippen und begann, leise zu sprechen. Er hatte das, was tief in ihm vergraben war, niemals jemandem erzählt. Er hatte nie darüber reden wollen, und hier in der Ruine hatte er auch nie darüber reden müssen. Die Einzigen, die ihn im Schlaf schreien hörten, waren die Wände eines halb verfallenen Palastes, und wenn Wände zuweilen auch Ohren haben mochten, Münder hatten sie keine. Wände stellten keine Fragen.
Befreite rothaarige Nordmann-Sklaven offensichtlich schon.
Sayain spürte, dass Alvar seinen Griff etwas lockerte, als er sich versteifte, aber der Nordmann ließ nicht los. Sayain seufzte.
»Ich... ich bin schon einmal versklavt worden«, begann er. Das war keine Lüge. Und die anderen... Sayain wusste auf einmal, dass er Alvar nichts vormachen konnte. Der junge Mann hatte zu viel gesehen und zu viel gelernt – er musste Sayains mattes Lügengebäude durchschauen, und Sayain wusste, dass er nichts weiter war als ein Fisch im Netz. Gefangen. Seltsamerweise machte es ihm keine Angst. Vielleicht würde Alvar wütend sein, aber vielleicht würde er auch verstehen.
»Ich bin aus dem Dorf geflohen, in dem ich aufgewachsen bin, und wurde auf der Straße von einer Karawane aufgegriffen. Es waren Händler, unter ihnen auch Sklavenhändler. Sie kamen aus dem Osten. Sie wollten mich in Ombia verkaufen. An ein
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