Im Fischernetz (German Edition)
fragte er nur, und Sayain glaubte ganz genau zu wissen, was er hören wollte.
»Ich wollte dir nicht sagen, dass ich hier lebe«, sagte er schließlich. »Ich wollte nicht, dass... du oder irgend ein anderer davon weiß. Dieser Ort ist...« Er wandte sich um und sah Alvar ins Gesicht.
»Dieser Ort gehört mir. Er ist mein Versteck und meine Zuflucht und ich wollte ihn nicht preisgeben. Meine Welt begann zu zerbrechen, als Galdur hier auftauchte. Ich hatte das Gefühl, wahnsinnig zu werden, als ich sah, was er hier vorhatte, verstehst du? Sklavenhandel, hier! Es war, als würde er mir mein Leben, mein Frieden wegnehmen. Ich wollte keine Menschen hier. Ich wollte nie wieder unter Menschen gehen .« Er senkte den Blick, atmete tief. Alvar starrte ihn verwirrt an. Entweder konnte er seinem Ausbruch nicht folgen, oder er hatte ihn erschreckt, was auch immer – vielleicht würde es dazu führen, dass Alvar ging. Aber wollte er das wirklich? Es wäre vermutlich besser so.
»Ich... ich habe deinen Halsreifen gesehen«, fuhr Sayain nach einer Weile fort. »Ich habe gesehen, dass du ein Sklave bist. Den Frauen und dem Jungen hatte ich nicht helfen können – was hätte ich ausrichten können, allein gegen vier erwachsene Männer? Aber du... als der große Fisch das Boot angriff und ihr alle ins Wasser gestürzt seid, habe ich dich herausgezogen .«
Alvar nickte, aber sein Blick war noch immer fest auf Sayain gerichtet, so, als zweifle er noch immer.
»Du waren bewusstlos, als ich aufgewacht an Strand. Hattest Blut an Nase .«
Sayain zuckte die Schultern. »Am Strand sind viele Klippen. Ich kann mich nicht erinnern, aber vielleicht haben die Wellen uns gegen eine von ihnen geschleudert, als ich dich an Land zog .« Es klang in seinen eigenen Ohren fadenscheinig, aber Alvar schien zufrieden. Er trat an Sayains Seite und nickte.
»Du wollen, ich gehen«, stellte er fest. »Du lieber... allein. Ist in Ordnung. Kann gehen heute .«
Nein!
Sayain musste sich auf die Lippe beißen, um nicht laut zu schreien. Er vermied es, den Nordmann anzusehen. Was, wenn Alvar dort, wo es ihn hin verschlug, von seinen seltsamen Erlebnissen in Thalessia erzählte? Er konnte es drehen und wenden wie er wollte – auch er würde Thalessia verlassen müssen und sich einen anderen Ort suchen, eine neue Zuflucht, wo er sein einsames Eremitenleben wieder neu beginnen konnte. Zum ersten Mal fragte Sayain sich, ob er das wirklich wollte. Es hatte sich fremd angefühlt, als Alvar ihn berührt hatte, und doch wie etwas, das er vermisst hatte.
» Sajenn ?«
Alvars Stimme riss ihn aus seinen Grübeleien, und er drehte sich langsam um.
»Ich weiß nicht«, sagte er ehrlich. »Wenn Galdur noch einmal herkommt, können wir beide nicht hierbleiben . Ruh dich noch eine Weile aus, wenn du willst. Bleib noch, wenn du willst .« Er atmete tief. »Ich war lange allein. Ich habe vergessen, wie gut es ist, mit jemandem reden zu können. Ich rede mit den Vögeln und dem Wasser, mit den Fischen und den Pflanzen, aber das ist nicht dasselbe. Ich... nein, ich will dich nicht vertreiben .«
Alvar lächelte. Seine Augen funkelten. »Danke«, sagte er.
Sayain lächelte ebenfalls. In diesem Augenblick traf er eine Entscheidung. Er hatte Alvar schon so vieles gesagt. Da würde ein weiteres gelüftetes Geheimnis auch nichts mehr ausmachen.
»Komm«, sagte er. »Komm mit, ich zeige dir etwas .«
ZUFLUCHT
Alvar spürte, dass sein Herz einen Schlag aussetzte, als Sayain ihm sagte, er würde ihn nicht fortschicken. Er fühlte sich seltsam leicht und unbeschwert, als er hinter dem hellhäutigen, elfenhaften Mann die schmale Wendeltreppe eines noch intakten Turmes erklomm. Sayain führte ihn zu einer hölzernen Tür, die er langsam aufstieß.
Dahinter lag ein Zimmer wie aus einem Traum. Alvar glaubte, eine andere Welt zu betreten. Der Raum war achteckig wie der Turm. An den Wänden standen steinerne Bänke, alte Truhen und sogar ein noch intakter Schrank. Der Boden war dick mit Teppichen und Fellen bedeckt. Halb darunter verborgen konnte Alvar den Umriss einer Falltür erkennen. Vor den vier scheibenlosen Fenstern wehten leichte Stoffe in verschiedenen Blautönen im Wind. Decken und Felle waren unter einem der Fenster zu einer bequemen Schlafstatt aufgetürmt. Unter einem anderen Fenster hatte Sayain eine kleine Feuerstelle improvisiert, daneben lagen ein kleiner eiserner Topf und ein geschmiedeter Rost. Ein schon arg mitgenommen aussehender Krug und ein paar Tonbecher standen
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