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Im fünften Himmel

Im fünften Himmel

Titel: Im fünften Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan McCafferty
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von Jessicas Gesicht entfernt ist. Einen Augenblick betrachtet er ihre Züge aus der Nähe, sucht nach unmerklichen Regungen, die beweisen könnten, dass sie in Wirklichkeit wach ist. Doch ihr Mund ist unschön erschlafft, die Nasenflügel heben und senken sich bei jedem Atemzug, die Augäpfel rollen hinter den dünnen Lidern hin und her. Alles deutet darauf hin, dass sie wirklich richtig schläft. Wenn sie das hier vortäuscht, ist es ein Höhepunkt ihrer schauspielerischen Laufbahn.
    Marcus steht auf und lacht laut, ohne seine Erheiterung zu dämpfen. Als er überlegt hat, wie er Jessica ins Bett kriegen könnte, war diese Möglichkeit nicht vorgesehen. Immer noch verwundert schüttelt er den Kopf (Wie kann sie in so einem Augenblick schlafen?) und beschließt, erst mal zu duschen.
    Aber nicht, ohne noch ein letztes Mittel auszuprobieren.
    Er stellt sich direkt in ihre Blickrichtung – wenn sie denn die Augen offen hätte. Er lässt den Knopf seiner Cordhose aufspringen. Pause. Dann beginnt er im Takt zu einer phantasierten Stripper-Musik schlangengleich die Hüften zu winden und den Reißverschluss herunterzuziehen … tiefer … tiefer … so weit es geht. Als die Hose zu Boden gleitet, hält Marcus sich kokett wie eine Trickfilmschönheit die Hände vors Geschlecht und sagt sogar stilgerecht: Ups! Während er mit einer Hand immer noch obszön unvollständig seinen Schritt bedeckt, hebt er mit der anderen die Hose auf und schwingt sie dann effektvoll über dem Kopf im Kreis (ja genau, wie ein Lasso), ehe er sie loslässt. Mit einer letzten ausladenden Geste und einem Ta-daa! wirft er den Kopf zurück und steht breitbeinig, mit ausgestreckten Armen da. Ob bewusst oder nicht, die Haltung entspricht fast genau der von Barry Manilow auf dem berüchtigten Klodeckel, der in Jessicas halb erzählter Geschichte vorkam, nur dass der Showman unserer Generation einen metallicblauen, mit Strass besetzten Hosenanzug trug und Marcus splitternackt ist.
    Jessica schnarcht auf und dreht sich auf die andere Seite, bleibt ansonsten aber völlig ungerührt von dieser komödiantischen Schwanzlassoshow. Jetzt ist Marcus vollends überzeugt, dass sie wirklich schläft (Wie kann sie in so einem Augenblick schlafen?) , und zieht sich ins Bad zurück, zur längst überfälligen Dusche.
    Ich muss sauber werden , denkt er vorm Badezimmerspiegel, und sauber bleiben. Wieder lacht er, über sich und seine Lage. Er weiß, wie viel Spaß Jessica an Wortspielereien hat, und mit Sauberkeit lässt sich einiges anfangen. Reinen Tisch machen. Einen sauberen Schnitt. Sauberer Abgang. Muss ich mir für später merken.
    Marcus betrachtet sein nacktes Spiegelbild und ist nicht sonderlich beeindruckt. Er war schon immer zu mager. Er kann kaum zwischen seinen Bauchmuskeln und hervorstehenden Organen unterscheiden. Sein Brusthaar ist dunkler und dicker als die rötlich braunen Haare auf seinem Kopf, und es wächst unregelmäßig. Es sammelt sich in dichten Büscheln um die Brustwarzen, dann wieder zu dem Pfad, der abwärts-, abwärts-, abwärtsführt, in die Hose hinein, würde er eine tragen. Trägt er jedoch nicht, und so denkt Marcus an seinen Schwanz. Dieses kleinste bisschen Aufmerksamkeit, kombiniert mit dem Gedanken an Jessica auf dem Bett im Nebenzimmer, lässt seinen Schwanz aufleben und sich bemerkbar machen: Hussa! Ja, er ist größer als die meisten, aber nicht so groß, wie im Lauf der Jahre verbreitet wurde (»fünfundzwanzig Zentimeter New-Jersey-Fleisch«, hallte es durch die Spindräume an der Pineville High). Wie die Menge an Sex oder Drogen, die Marcus Flutie konsumiert hat, ist auch sein Schwanz in den schmutzigen Phantasien anderer Menschen viel größer als in Wahrheit. Diese Übertreibung ist notwendiger Bestandteil der Aura von Dichter/Junkie/männlicher Hure, die allen den Blick getrübt hatte: Von der ersten (eine Freundin seines Bruders, eine degenerierte Cheerleaderin der Nachwuchsmannschaft, die es zum Totlachen fand, einen sexuell überreifen Dreizehnjährigen zu verführen) bis zur letzten (Greta) hatte jede geglaubt, ausgerechnet sie würde sein Leben ändern. Alle hatten es geglaubt, wie viele es auch gewesen waren. Alle bis auf eine. Und die ist von Marcus Flutie so wenig beeindruckt, dass sie in tiefen Schlummer gesunken ist.
    Marcus, inzwischen

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