im Geisterschloss
Nanni vorgeschlagen, dass man doch noch einmal nachschauen sollte.
Lene hatte sich trotz ihrer Vorliebe für die lustigen Zwillinge richtig ereifert über diesen törichten Aberglauben – wie sie sagte – und sie stritten nun schon eine Weile in aller Freundschaft.
Da traten der Wachtmeister und der Australier in den Hof. Die fünf winkten ihnen zu und riefen: „Hallo!“ Beide winkten zurück. Es stand ja nicht fest, wem das Winken galt! Lene aber, die zunächst gerufen hatte: „Schönen guten Tag, Huber!“, verstummte plötzlich. Mit großen Augen starrte sie den Fremden an. Es sah beinahe so aus, als wollte sie auf ihn zugehen. Aber dann blieb sie stehen und murmelte nur: „Na, so was!“
Die beiden Männer verschwanden im Haus. Lene schwieg. Da hielt Peter es nicht länger aus. „Was hast du eigentlich auf einmal, Lene?“, rief er.
„Kinder“, sagte sie, „wenn dieser Mann mir erzählte, er wäre Ursel Harringers Sohn, dem würde ich es glauben.“
Da schwiegen sie, nur Jenny meinte vorlaut: „Vielleicht ist er es wirklich.“ Kopfschüttelnd ging Lene in die Küche.
Im Amtszimmer ging es lebhaft zu. Auf das laute „Herein!“ des Bürgermeisters waren die beiden eingetreten. Der angebliche Schlosserbe, den die anderen drei gespannt beobachteten, wurde bleich, als er den Australier erkannte.
„Sieh mal an“, rief der. „Da ist ja der Herr Lense, mein ehemaliger Kabinengenosse.“
Aber der hatte sich schnell gefasst. „Kabinengenosse? Was heißt das?“, rief er. „Ich habe Sie noch nie gesehen!“
Der andere lachte. „Vor allem möchten Sie mich jetzt nicht sehen. Aber ich bin nun einmal hier. Und ich verlange von Ihnen die Familienpapiere zurück, die Sie mir im Hotelzimmer gestohlen haben.“
„Darf ich Sie bitten, sich auszuweisen?“, sagte der Bürgermeister zu ihm.
Mit einer Entschuldigung stellte der Fremde sich als Reinhard Lohse-Harringer vor und gab dem alten Herrn seinen Pass. Der blätterte darin und prüfte ihn genau. Dann griff er nach dem anderen Pass, der auf seinem Schreibtisch lag, und verglich die beiden Dokumente. „Der gleiche Name steht in diesem Pass“, sagte er zum Wachtmeister. „Aber vergleichen Sie einmal: Hier ist korrigiert worden. Wie nannten Sie diesen Herrn?“
„Lense.“
„Freilich, das ließ sich verhältnismäßig einfach in Lohse abändern – und Harringer, das wurde einfach angefügt.“
„So, und wer gibt Ihnen das Recht, mir dies in die Schuhe zu schieben?“, fragte nun der Rothaarige. „Warum soll nicht jener Pass dort gefälscht sein? Fragen Sie den Mann doch nach anderen Unterlagen. Und fragen Sie ihn, was er überhaupt hier will!“
Das war recht geschickt von ihm. Noch hatte der Fremde ja nicht gesagt, warum er kam. Und wenn dem Bürgermeister und dem Wachtmeister der jüngere Mann auch auf den ersten Blick tausendmal besser gefiel als der erste Besucher – sie waren Amtspersonen und mussten genau prüfen, wer recht hatte.
„Ja, mein Herr“, sagte der Bürgermeister deshalb zu dem Australier, „bitte nennen Sie zunächst Ihr Anliegen.“ Er schaute ihn erwartungsvoll an.
„Gut. Ich bin der Sohn der ehemaligen Baroness Ursel von Harringer“, sagte der Fremde. „Meine Eltern sind tot. Ich habe in Australien, wo ich geboren bin, durch Zufall eine Anzeige gelesen, dass ein Erbe für das Schloss Harringer gesucht wird. Daraufhin habe ich mich vor etwa einem Jahr bei der Schlossverwaltung gemeldet. Damals lebte ich auf einer einsamen Baustelle und konnte meine Arbeit nicht im Stich lassen. Sobald die Talsperre fertig war, ging ich in die Hauptstadt, suchte alle Papiere zusammen und fuhr nach Deutschland. Wie gesagt: Dieser Herr teilte die Kabine mit mir. Ich habe aus meinem Ziel keinen Hehl gemacht. Gutgläubig habe ich ihm sogar meine Unterlagen gezeigt, weil er mir angeblich helfen wollte. Dann habe ich nach der Ankunft in Deutschland, als es schwierig war, noch spät abends eine Unterkunft zu finden, mit ihm zusammen ein Doppelzimmer im Hotel genommen. Dass er mir ein Schlafmittel verpasst hat, kann ich bloß vermuten. Jedenfalls habe ich fest und lange geschlafen. Am anderen Morgen aber war Herr Lense von der Bildfläche verschwunden und die Mappe mit meinen Urkunden auch. Hier in Rottleben sehe ich ihn zum ersten Mal wieder.“
„Ein feiner Schwindel, den Sie den Herren auftischen“, spottete der Rothaarige. „Das müssen Sie erst einmal beweisen.“
„Das will ich auch“, sagte der Fremde ernst. Er wandte
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