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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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damaligen Situation versuchte nun ein Abkömmling des alten Sultans den Palast zurückzuerobern – nur mit dem Unterschied, dass er seine Gegner nicht kannte und auch keine Musik hatte, die ihm die Richtung wies.

23
    In Deckung zu bleiben war kein Problem für Metin İskender, sich leise zu verhalten allerdings schon. In dem Dickicht konnte er keinen Schritt tun, ohne dass ein Zweig krachte oder das trockene Laub auf dem Boden raschelte. Bei jedem Geräusch zuckte er zusammen, und sein Herz pochte heftig gegen die Rippen. Dabei war er vermutlich ganz allein in dem Unterholz, und falls nicht, konnte er immer noch İkmens Rat befolgen und versuchen, sich irgendwie herauszureden. Mit etwas Glück würden ihn die Parkwächter einfach für einen verspäteten Besucher halten; schließlich wurde der Park offiziell gar nicht so früh geschlossen. Er konnte auch irgendein armseliger Perverser sein, der den ganzen Tag im Gebüsch gehockt und sich beim Anblick der hübschen Mädchen einen runtergeholt hatte. Er nahm zwar nicht an, dass er wie ein Spanner aussah, aber …
    Falls man sie allerdings entdeckte und der General und sein Begleiter gar nichts Illegales taten, war İskender erledigt – wobei ein Mann wie General Pamuk ihn vermutlich auch dann erledigen konnte, wenn er tatsächlich etwas Illegales tat. Und İkmen und Süleyman noch dazu. Aber İkmen hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: Er, İskender, musste der Sache einfach auf den Grund gehen. Ardiç hatte ihn gerade erst von den Ermittlungen im Fall Sivas abgezogen, hatte ihn weggeworfen wie einen Sack Müll. Bei dieser Vorstellung musste İskender lächeln. Müll – den hatte er ein für alle Mal hinter sich gelassen, und niemand würde ihn dorthin zurückschicken. Wenn er seine Eltern besuchte, drehte sich ihm jedes Mal der Magen um. Allein schon der Gestank, die Fäulnis und der Dreck. Dabei hätten seine Eltern dort gar nicht mehr leben müssen: Es war ihre eigene Entscheidung oder vielmehr die seines Vaters. Sowohl İskender als auch seine Schwester Meral hatten einen gut bezahlten Job. Sie hätten ihre Eltern nur zu gern unterstützt unter der Bedingung, dass ihr Vater das Geld nicht gleich wieder vertrank. Doch genau das würde er tun. Haldun İskender war Alkoholiker, auch wenn Metins Mutter sich noch so viele Entschuldigungen für ihren Ehemann einfallen ließ.
    İskender befand sich jetzt in Sichtweite der schimmernden Marmorstufen, die zum Köşkü hinaufführten. İkmen und Süleyman waren jedoch nirgends zu sehen. Bevor er nicht ungefähr wusste, wo sie steckten, würde er nicht dort hinaufgehen. Er strengte all seine Sinne an, konnte aber weit und breit niemanden entdecken. Allmählich fragte er sich, warum sie überhaupt hier waren. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Männern hatte sich im Malta Köşkü getroffen und saß vielleicht gerade beim Essen zusammen. Daran war doch nichts auszusetzen – bis auf die Anwesenheit von Vedat Sivas und das mulmige Gefühl im Bauch, das ihn nicht mehr verlassen hatte, seit Schiwkow ihm »erschienen« war. Wie dumm von ihm! Die Lösung mit dem Baum war so offensichtlich, und er hatte sogar noch selbst auf dieser Mauer gehockt und überlegt, ob er nicht einfach einer optischen Täuschung aufgesessen war. Warum hatte er das Rätsel also nicht allein gelöst? Stattdessen hatte er fest daran geglaubt, Schiwkow müsse aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht sein.
    Ob das an seiner bäuerlichen Herkunft lag? Bauern glaubten immer schnell an irgendwelche Wunder. Jedes Jahr aufs Neue schleppte seine Mutter seinen Vater in eine armenische Kirche, in der an irgendeinem Festtag eine wundersame Heilung stattfinden sollte. Bisher war nie etwas passiert, aber seine Mutter ging trotzdem hin: eine Muslimin mit Kopftuch, die einen rakigetränkten Säufer hinter sich herzog. Geheimnis und Magie, Wie sonst hatte Schiwkow, diese Inkarnation des Bösen, es stets aufs Neue geschafft, dem Tod zu entrinnen? Er musste doch eine Art Dämon sein! Schon wieder dieser bäuerliche Aberglaube. Während Süleyman völlig rational mit den Geheimgängen umging, die seine legendären aristokratischen Ahnen angelegt hatten, dachte er selbst sofort an irgendwelche Teufel oder Dschinn, die des Nachts erschienen und die Hände nach ihm ausstreckten.
    Plötzlich stockte ihm der Atem. Zu spät. Ohne Vorwarnung legte sich etwas Großes, Schwarzes um seinen Hals und hob ihn einfach hoch.
     
    »Ich bin Polizist!« Süleyman hielt den maskierten

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