Im Gewand der Nacht
mraniye sah die Sache anders aus. Selbst wenn sein Vater nüchtern genug gewesen wäre, ihn zur Bewerbung zu begleiten, hätte er doch nichts zum Anziehen gehabt, das nicht nach Müllhalde oder toten Tieren roch. Selbst um seine Stelle bei der Polizei hatte er kämpfen müssen. Allerdings hatten sich ihm dabei hauptsächlich seine Eltern in den Weg gestellt, deren einzige Beziehung zum Gesetz darin bestand, es zu brechen, um überleben zu können.
»Sie müssen nicht mitkommen.« İkmens Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. »Ich weiß, wie wichtig Ihnen Ihre Karriere ist. Und unser Vorhaben wird vermutlich von höherer Stelle nicht unbedingt, na ja, abgesegnet werden. Unter Umständen könnte es sich sogar als Fehler erweisen.«
»Ich weiß schon, dass man mich für einen steifen, langweiligen Streber hält«, sagte İskender bitter.
»Aber einen integeren«, mischte Süleyman sich ein. Er hatte Metin İskender nie so recht leiden können, doch er respektierte ihn, und seine plötzliche Selbstanklage erfüllte ihn mit Sorge. Süleyman war sich ebenfalls nicht sicher, ob er İkmens Vorhaben gutheißen sollte, aber er wusste genau, dass jetzt nicht die Zeit für selbstzerstörerische Gedanken war. »Sie haben sich Ihre Position hart erarbeitet, Metin,« fügte er hinzu, »und dafür gebührt Ihnen Respekt.«
İkmen, der allmählich die Geduld mit diesem landestypischen Austausch von Höflichkeiten verlor, räusperte sich laut. »Also, kommt ihr nun mit oder nicht?«, fragte er und wies mit einer noch nicht angezündeten Zigarette auf den Malta Köşkü.
Süleyman seufzte. Es wäre so leicht gewesen, jetzt einfach nach Hause zu gehen. İkmen würde ihm keine Vorwürfe machen. Andererseits hatte er Vertrauen zu İkmen und seinen Instinkten, die ihn nur selten im Stich ließen. Und wenn hier tatsächlich Korruption im Spiel war, dann wollte er unbedingt Genaueres herausfinden, selbst wenn ihnen dieses Wissen nicht viel nützen würde.
»Also gut, ich bin dabei«, sagte er schnell, bevor er es sich anders überlegen konnte.
»Tja, ich wohl auch«, meinte İskender düster. »Man muss auch mal was riskieren.«
»Und außerdem würde Ihnen die Sache sonst keine Ruhe lassen, genau wie mir«, sagte İkmen mit einem Lächeln. »Sind Sie bewaffnet?«
»Natürlich.«
»Du vermutlich nicht, Çetin?«, fragte Süleyman, obwohl er die Antwort schon kannte.
»Nein.« İkmen sah İskenders ungläubigen Gesichtsausdruck und lächelte erneut. »Das wussten Sie nicht? Ich habe nie eine Waffe bei mir. Wenn ich mich nicht aus einer Klemme herausreden kann, dann bin ich für diesen Beruf ungeeignet. Aber ich weiß, dass ihr beide immer bewaffnet seid, und das ist eure Sache. Ich bitte euch nur um eines: Falls etwas passieren sollte, tut nichts Unüberlegtes. Wir wissen nicht, was uns da drin erwartet. Wir sollten möglichst nur beobachten, nicht eingreifen.« Er blickte ernst von einem zum anderen. »Abgemacht?«
İskender und Süleyman nickten.
»Gut, dann wollen wir jetzt mal sehen, was hier eigentlich los ist«, sagte İkmen. »Wir teilen uns auf, sondieren das Terrain und treffen uns dann, sofern die Luft rein ist, am Haupteingang.«
»Meinst du, sie haben hier draußen Wachen aufgestellt?«, fragte Süleyman.
»Keine Ahnung«, erwiderte İkmen, »aber wenn General Pamuk auch nur das Geringste mit der Organisation des Treffens zu tun gehabt hat, dann halte ich es für sehr wahrscheinlich. Seid leise und bleibt in Deckung.«
Süleyman erklärte sich bereit, die Rückseite des Gebäudes zu übernehmen, während die beiden anderen sich aus verschiedenen Richtungen von vorne anschleichen wollten. Das Mondlicht verlieh der Fassade des Bauwerks einen silbrigen Schimmer. Gespenstisch, dieser Ort mit seinen dunklen Geheimgängen und seiner noch dunkleren Vergangenheit … Süleyman konnte sich gut erinnern, wie sein Großvater ihm voll Trauer die Geschichte von der Eroberung des Palasts 1908 durch die Jungtürken erzählt hatte. Sie hatten sich durchs Unterholz angeschlichen, ängstlich auf die Laute der exotischen Tiere in der Menagerie des Sultans lauschend, wobei sie geleitet wurden von den falschen Tönen eines Klaviers, die sie direkt zum Monarchen führen würden. Aber sie traten ihm nicht sofort gegenüber. Nein, der Verrückte aus dem Yıldız- Palast erfuhr erst am Morgen, was er längst geahnt haben musste: dass er entthront worden war, dass das Volk ein für alle Mal gesprochen hatte. Und wie in Umkehrung der
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