Im Gewand der Nacht
hatte sich kaum hinter Vedat geschlossen, als Süleyman auch schon seinen Kaffee bezahlte und wie zufällig einen Rundgang um das gesamte Gebäude machte. Doch von außen ließ sich nicht erkennen, wohin die Männer verschwunden waren. Trotz der Hitze stand keines der Fenster offen, und nur die Geräusche von der Terrasse drangen zu ihm herüber. Da İkmen ihn angewiesen hatte, so lange wie möglich vor Ort zu bleiben, kehrte Süleyman schließlich an seinen Tisch zurück in der Absicht, sich etwas zu essen zu bestellen.
»Wir schließen«, sagte der Kellner.
Süleyman sah auf die Uhr. »Aber es ist doch erst Viertel vor neun. Soweit ich weiß, haben Sie bis zehn Uhr geöffnet.«
»Wir schließen jetzt.« Der Kellner wandte sich ab, um einen der Nebentische abzuräumen, der soeben frei geworden war.
Süleyman lehnte sich zurück und seufzte. Was nun? Er konnte nicht einfach sitzen bleiben. Irgendetwas Ungewöhnliches war hier im Gange, und die Angestellten wussten offenbar Bescheid. Bald würde man ihn auffordern zu gehen. Er schaute den Hang hinunter und sah, wie İkmen und İskender gerade aus dem Unterholz auf den Pfad traten. Sollte er sich ihnen anschließen?
Das »ägyptische« Mädchen am Tisch gegenüber führte gerade den letzten Bissen einer großen Portion Baklava zum Mund. Sie lächelte ihm wieder zu. Diesmal erwiderte Süleyman ihr Lächeln und steckte sich eine Zigarette an.
Es war nichts zu finden.
»Das habe ich Ihnen doch gesagt«, meinte İskender, während er beobachtete, wie İkmen auf und ab lief und den Boden absuchte.
»Zeigen Sie mir noch einmal genau, wo Sie ihn gesehen haben.«
»Dort drüben.« İskender wies auf eine Stelle, wo ein riesiger Baum stand und der von niedrigen Mauern gesäumte Weg eine Biegung machte.
»Hmm.« İkmen runzelte die Stirn. »Gehen Sie bitte ein Stück zum Malta Köşkü hinauf, Metin.«
İskender sah sich um und begegnete für Sekunden Süleymans Blick. »Ich dachte, wir wollten nicht gesehen werden.«
»Vedat und seine Freunde sind im Pavillon verschwunden«, erwiderte İkmen, »und ein Großteil der normalen Gäste scheint gerade zu gehen. Laufen Sie einfach ein Stück in die Richtung, bitte!«
İskender ging ein paar Meter und wandte sich dann um. İkmen war nirgends zu sehen. Ein junges Paar kam vom Pavillon herunter und lief an İskender vorbei, gefolgt von ihrer fröhlich auf und ab hüpfenden Tochter.
Plötzlich stand İkmen wieder auf dem Weg. Stirnrunzelnd ging İskender zu ihm zurück.
»Wie haben Sie das gemacht?«, fragte er. »Genauso war es bei Schiwkow!«
İkmen lächelte. »Ich habe mich einfach hinter dem Baum versteckt«, sagte er und wies auf eine große Eibe. »Dann habe ich einen Fuß auf die Mauer gestellt und bin wieder auf den Pfad gesprungen.«
»Aber …«
»Da ist keine Magie im Spiel«, fuhr İkmen fort. »Kurz bevor Sie Schiwkow entdeckten, waren Sie vermutlich von anderen Spaziergängern abgelenkt, genau wie jetzt eben.«
»Ganz sicher nicht. Ich habe auf den Weg geschaut, und auf einmal tauchte er auf wie aus dem Nichts.«
»Hinter anderen Menschen«, ergänzte İkmen. »Wenn man eine größere Fläche überblicken will, starrt man ja nicht wie gebannt auf eine Stelle, sondern lässt den Blick schweifen. Sie haben nicht mit Schiwkows Erscheinen gerechnet, deshalb traf es Sie wie ein Schock. Ich nehme an, Ihre Augen waren genau in dem Augenblick, als er auf den Weg sprang, auf etwas anderes gerichtet. Es kam Ihnen so vor, als wäre er aus dem Nichts aufgetaucht – zum einen, weil man schließlich nicht damit rechnet, dass irgendwelche Leute aus dem Unterholz hervorbrechen, zum anderen wegen einiger, sagen wir, persönlicher Faktoren.«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich meine damit, dass Sie ein ganz bestimmtes Bild von ihm haben. Schiwkow ist als Gangster ein Mythos. Seine Verbrechen sind brutal und skrupellos, und er hat es über viele Jahre immer wieder geschafft, sowohl uns als auch seinen Rivalen zu entkommen. Sie haben seine Vorgehensweise mit eigenen Augen gesehen, und ich glaube – und das meine ich nicht als Vorwurf, Metin –, er macht Ihnen Angst. Ich persönlich halte das für eine höchst gesunde Reaktion.«
İskender nickte langsam. »Dann war es also eine Art optischer Täuschung – wie ich im ersten Moment auch vermutet hatte. Und ich Idiot habe die ganze Gegend nach irgendwelchen Geheimgängen abgesucht! Die Mühe hätte ich mir sparen können.«
»Ich bin froh, dass Sie sich die Mühe
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