Im Gewand der Nacht
verschwiegen, was ihre Grabungsstätten anbelangt. Der Sohn hat mir erzählt, dass sein verstorbener Vater der Meinung war, unter den Straßen der Stadt sei jede Menge griechisches Gold zu finden.«
»Möglicherweise hatte er damit sogar Recht«, sagte İkmen. » Seit Jahren schon kursieren Gerüchte über das Gold, das die Griechen vielleicht vor uns verstecken wollten, als Sultan Mehmet Fatih die Stadt eroberte. Das ist auch der Grund dafür, warum geistig ansonsten vollkommen gesunde Menschen regelmäßig in irgendwelchen unterirdischen Höhlensystemen festsitzen und gerettet werden müssen. Die Verlockungen des leicht verdienten Geldes.«
Tepe sah ihn angewidert an. »Dann spiel ich doch lieber weiter Lotto.«
»Ja. Obwohl die Wahrscheinlichkeit, das verschwundene Gold der Griechen zu finden, meiner Einschätzung nach wesentlich größer ist, als durch Lottospielen reich zu werden«, meinte İkmen.
Mit einem wehmütigen Lächeln stimmte Tepe ihm zu. Die Lotterie war, wie jeder andere Versuch, mühelos zu Geld zu kommen, leider eine ziemlich aussichtslose Sache.
Unter den ungläubigen und auch missbilligenden Blicken einiger seiner Kollegen zündete sich İkmen, dem der faulige Gestank des Schlicks nichts auszumachen schien, eine Zigarette an, während er das Mädchen erneut betrachtete. Tepe sah gerade den Rauchschwaden nach, die nach oben stiegen und durch den Eingang der Zisterne verschwanden, als İkmen sich wieder an ihn wandte. »Sie wollte Schauspielerin werden.«
»Hmm.«
»Sie und meine Tochter Hülya träumten offenbar den gleichen Traum.« Dass er bis zu diesem Morgen nichts von den Ambitionen seiner Tochter gewusst hatte, betrübte İkmen jetzt. Immer zu beschäftigt, noch nicht einmal Zeit für seine Kinder. Wenn er gewusst hätte, wofür sich die Mädchen interessierten, dann hätte er sie wenigstens warnen können. Man vertraute Männern, die irgendwelche Mädchen für sich tanzen lassen wollten, einfach nicht – auch wenn es sich dabei scheinbar um die Chance handelte, in die Unterhaltungsbranche einzusteigen. Aber wenn er selbst versagt hatte, dann hatte auch Hatices Mutter, Hürrem İpek, versagt – noch ein Elternteil, der als Ordnungshüter arbeitete, dachte İkmen bitter.
»Glauben Sie denn, dass die beruflichen Ambitionen des Mädchens irgendetwas mit ihrem Tod zu tun haben?«, fragte Tepe.
İkmen seufzte. »Das wäre durchaus möglich. Nachdem ich meine Tochter endlich zum Reden bewegen konnte, meinte sie, Hatice sei gestern Abend nach der Arbeit in der Pastahane noch irgendwo anders hingegangen, um ein paar Männer zu ›unterhalten‹. Ich bin nur froh, dass sie Hülya nicht gebeten hat, sie zu begleiten.«
»Also war sie in Prostitution verwickelt.«
»Nein, jedenfalls nicht wissentlich«, entgegnete İkmen. »Der Pathologe wird uns bald sagen können, ob es zu sexuellen Handlungen kam …« Er schloss kurz die Augen, um das unangenehme Bild zu verscheuchen, das sich in seinem Kopf verdichtete. »Aber Sie und ich wissen, dass der Begriff Unterhaltungsbranche häufig zur Verschleierung höchst zweifelhafter Machenschaften verwendet wird. Ich denke, wir sollten mit unseren Nachforschungen bei der Pastahane in Sultanahmet beginnen, in der Hatice gearbeitet hat. Ich kenne den Besitzer, Hassan Sęker. Außerdem sollten wir uns einmal mit einem alternden Schauspieler unterhalten, an den Sie sich wahrscheinlich nicht mehr erinnern werden – Ahmet Sılay.«
Tepe verlagerte sein Gewicht wieder auf den anderen Fuß; seine Schuhe fühlten sich allmählich feucht an. »Glauben Sie, er könnte in die Sache verwickelt sein?«
Die beiden Männer traten einen Schritt zur Seite, um den Polizeifotografen vorbeizulassen.
»Sılay gefällt sich darin, die Mädchen mit Geschichten seiner vergangenen Triumphe zu ergötzen«, sagte İkmen und drückte seine Zigarette im Schlick aus. »Meine Tochter glaubt zwar nicht, dass er etwas mit der Verabredung zu tun hat, zu der Hatice gestern Abend gegangen ist, aber es könnte sich trotzdem lohnen, mal mit ihm zu reden. Vielleicht kennt er ja sogar die Männer, mit denen das Mädchen gestern verschwunden ist. Wenn wir hier fertig sind, muss ich Hatices Mutter aufsuchen und ihr die Nachricht vom Tod ihrer Tochter überbringen. In der Zwischenzeit können Sie zur Pastahane fahren und sich nach Sılay erkundigen. Der Besitzer müsste wissen, wo er wohnt – schließlich ist der Schauspieler seit Jahren Stammgast bei ihm.«
»Okay, Chef.«
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