Im Gewand der Nacht
und vergaß ihren Trotz. Während er mit Dr. Halman redete, kam sie ins Zimmer, setzte sich vor ihm auf den Boden und legte ihre Hände auf seine knochigen Knie. Er streichelte ihr über den Kopf, als könne er in ihren weichen Haaren Trost finden.
26
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass der Patient ohne Bewusstsein ist und keinen Besuch empfangen darf«, erklärte Dr. Ozakin der kleinen wütenden Gestalt, die vor ihm stand.
»Ja, und ich habe Ihnen gesagt«, antwortete İkmen mit zusammengebissenen Zähnen, »dass ich ihn gesehen habe, Doktor. Sie haben gerade selbst die Tür geöffnet, Doktor, er ist wach!«
»Es ist drei Uhr nachts.«
»Nicht die ideale Zeit für einen Krankenbesuch, das muss ich zugeben«, erwiderte İkmen, »aber das ist mir egal.«
»Ich muss Sie bitten zu gehen …«
İkmen schob eine Hand in seine Jacke und zog eine nicht geladene Pistole heraus. »Entweder lassen Sie mich jetzt zu Inspektor Süleyman oder ich erschieße Sie.«
Die kleine Krankenschwester, eine Frau Anfang fünfzig, die neben dem Doktor gestanden hatte, rückte vorsichtig von ihm ab.
»Dies ist ein Krankenhaus!«, rief Ozakin mit vor Angst zitternder Stimme.
»Ich weiß«, sagte İkmen, stieß die Tür zu Süleymans Zimmer auf und stellte einen Fuß auf die Schwelle. »Gut beobachtet.«
»Ich werde Ihre Vorgesetzten verständigen!«
»Tun Sie das.«
İkmen ließ die Tür hinter sich zufallen und wandte sich mit der Waffe in der Hand der Gestalt zu, die auf dem Bett lag.
»Doktor?«
İkmen trat näher und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett.
»Nein, ich bin’s, Çetin.«
»Çetin?«
»Ja.«
Obwohl Süleyman bei Bewusstsein war, sah er entsetzlich aus. Sein Gesicht war so blass, dass es grünlich schimmerte, und mit kleinen Blutergüssen übersät. Doch was İkmen am meisten beunruhigte, waren seine Augen, die unablässig rollten und manchmal ganz in ihren Höhlen zu verschwinden schienen.
»Pass auf, ich habe nicht viel Zeit«, sagte İkmen atemlos.
»Was ist passiert?«
»Was …«
»Mehmet, du musst es mir sagen!«
»Ich …« Die Augen rollten.
»Schau mich an!«
Doch Mehmet konnte nicht. Zweifellos versuchte er es, aber irgendetwas hielt ihn davon ab.
»Mehmet!«
Mittlerweile hatte Ozakin bestimmt Hilfe gerufen, die jeden Moment eintreffen musste. İkmen hatte im Eingangsbereich zwei verschlafene Uniformierte überreden müssen, ihn durchzulassen, und er wusste, dass ihm das nicht noch einmal gelingen würde.
»Mehmet! Bitte!«
Doch die Augen rollten weiter, und gelegentlich fiel Süleyman die geschwollene Zunge aus dem Mundwinkel. İkmen spürte, wie Verzweiflung in ihm aufstieg. Was war mit Süleyman geschehen? Offiziell hieß es, er sei zusammengeschlagen worden, was durchaus möglich war, aber İkmen konnte keinerlei Anzeichen für eine Verletzung entdecken, die einen derartig abwesenden Geisteszustand hätten verursachen können. Und warum hatte der Arzt gelogen? Die Hartnäckigkeit, mit der er versucht hatte, İkmen von seinem Freund fern zu halten, ging über die übliche Fürsorge eines Arztes deutlich hinaus. Süleyman stöhnte und zog einen Arm unter der Bettdecke hervor. Der Oberarm war bandagiert. Mit einem unkontrollierten Zucken seines Kopfes wies er auf den Verband.
İkmen sah ihm verwirrt zu.
Süleyman wiederholte die Bewegung, wies mit dem Kopf auf seinen Arm und blickte dann wieder vage in İkmens Richtung. İkmen stand auf und untersuchte den Verband, doch im Grunde gab es nichts zu sehen: Das Gazegewebe war sauber und der Arm allem Anschein nach kein bisschen geschwollen. Süleyman musste sich während des Kampfes, oder worin er auch immer verwickelt worden war, verletzt haben …
»Hast du Schmerzen?«, fragte İkmen. »Soll ich den Arzt rufen?«
»Spritze …« Süleymans verschwommener Blick zuckte wild zur Seite, während er mühsam nach Luft rang.
»Brauchst du Schmerzmittel?«
»Spritze!« Wieder wies Süleyman mit dem Kopf auf seinen Arm, und plötzlich begriff İkmen. Er setzte sich und griff nach der Hand seines Freundes.
»Man hat dir irgendetwas injiziert, ist es das?«
Süleyman hörte auf, panisch nach Luft zu ringen, hob den Kopf ein Stück vom Kissen und gab einen tiefen, kehligen Laut von sich.
»Du bist nicht zusammengeschlagen worden – man hat dich unter Drogen gesetzt!« İkmen fuhr sich mit einer zitternden Hand durchs Haar und suchte dann in seinen Taschen nach Zigaretten.
Unter Drogen gesetzt. Er hatte auch vorher schon Angst gehabt,
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