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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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höflich gezeigt.
    »Ich muss mit Ihnen sprechen, Aysel.«
    »Oh.« Betont munter trat sie einen Schritt zur Seite, um ihn hereinzulassen, obwohl sie schon in diesem Moment spürte, dass ihre Heiterkeit fehl am Platze war.
    Trotzdem spielte sie die Rolle der Gastgeberin weiter und bot Çetin Bey etwas zu trinken an – ganz wie es dem Vorgesetzten ihres Ehemanns gebührte. Dankend lehnte er ab. Er wollte sich nicht setzen, forderte sie jedoch auf, selbst Platz zu nehmen.
    »Aysel, es hat leider einen Zwischenfall gegeben«, sagte er und blickte mit unendlich müden, ernsten Augen auf sie herab.
    »Oh? Was für einen Zwischenfall denn?« Immer noch munter, immer noch fröhlich lächelnd.
    »Einige unserer Beamten haben gestern Abend an einem Einsatz beim Yıldız-Palast teilgenommen.« İkmen suchte und fand seine Zigaretten und zündete sich eine an. »Sie haben versucht, eine Bande zu zerschlagen. Dabei wurden einige Beamte verletzt.«
    »Ach.« Sie schaute hinunter auf ihre Hände, die nervös in ihrem Schoß spielten.
    »Orhan …«
    »Ist er tot?« Es klang so nüchtern, beinahe herzlos.
    İkmen holte tief Luft. »Ja«, sagte er. »Orhan ist tot. Es tut mir furchtbar Leid.«
    »Wie ist das passiert? Ist er erschossen worden?«
    »Ja.« İkmen setzte sich nun doch auf den Stuhl ihr gegenüber. »Er ist in dem Bemühen gestorben, Istanbul zu einer sicheren Stadt zu machen. Ich weiß, dass Ihnen das jetzt nicht hilft, aber ich glaube, eines Tages wird es Ihnen ein Trost sein.«
    Aysel blickte ihn ohne eine Träne in den Augen an – nur ihr leerer Gesichtsausdruck ließ den unsichtbaren Zusammenbruch ihrer Seele erahnen. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie selbst gekommen sind, um mir die Nachricht zu überbringen. Danke«, sagte sie.
    »Das ist ein Teil meines Berufs, an den ich mich nie gewöhnen werde«, erwiderte İkmen traurig. »Orhan war ein guter Polizist. Er wird mir fehlen.«
    »Ja.«
    Sie saßen eine Weile schweigend da, während Aysel mit trüben Augen vor sich hin starrte, völlig reglos, zumindest äußerlich. Von Cemal war nichts zu hören; er schlief also noch. Gut.
    Nach einem tiefen, ziemlich zittrigen Seufzer ergriff İkmen erneut das Wort. »Soll ich irgendjemanden für Sie benachrichtigen?«, fragte er. »Ihre Familie, einen Verwandten von Orhan?«
    »Meine Eltern … sie leben in Aksaray. Das mache ich selbst.«
    »Ganz sicher?«
    »Ja.« Sie betrachtete erneut ihre Hände. »Werden Sie es Wachtmeisterin Farsakoğlu sagen?«
    Als er nicht antwortete, fragte sie noch einmal: »Werden Sie es ihr sagen?«
    »Alle Beamten, mit denen Ihr Mann zusammengearbeitet hat, müssen informiert werden.«
    Aysel blickte wütend auf. »Ich weiß Bescheid«, sagte sie. »Über Orhan und die Farsakoğlu.«
    »Aysel …«
    »Das ist schon in Ordnung.« Sie verzog ihr Gesicht zu einem grimassenhaften Lächeln. »Ich hatte nie ein Problem damit.«
    Sie stand auf und ging zum Herd. »Kann ich Ihnen ganz bestimmt nichts anbieten, nicht mal einen Kaffee?«, fragte sie. »Eine französische Mischung – sehr gut. Wir haben auch Kristallzucker …« Und plötzlich begann sie zu weinen; der Damm ihrer Selbstbeherrschung brach, und sie machte ihrer Verzweiflung in einem langen, furchtbaren Schrei Luft.
     
    Es war halb sieben, als sie die Yerebatan Sarayı, die am umfangreichsten sanierte und erschlossene Zisterne der Stadt, erreichten. Zunächst hatte İkmen geglaubt, sie würden aus Gründen, die sein benebelter, mitgenommener Verstand nicht mehr begreifen konnte, zu seiner Wohnung fahren, die gleich um die Ecke lag. Doch der grimmig entschlossene Ardiç, der gegen seine Gewohnheit selbst gefahren war, hatte offenbar andere Pläne.
    Als sie vor dem unscheinbaren kleinen Gebäude hielten, durch das man die Zisterne betrat, wandte er sich an İkmen und sagte: »Mein Bruder macht uns auf. Er arbeitet hier als Wärter.«
    İkmen hatte sich bisher nie Gedanken über die Familie des Polizeipräsidenten gemacht; er wusste nur von dessen Frau und den grauenhaft übergewichtigen Zwillingssöhnen. Ardiç wirkte immer so gut situiert, mit seinem Haus in Büyükada und seinen Kontakten zum Bürgermeister und zu anderen Würdenträgern. Daher war İkmen ein wenig überrascht, dass sein Bruder Eintrittskarten an Touristen verkaufte und das Wasser wegwischte, das ständig von der Decke der Zisterne auf die Laufstege tropfte. Vielleicht durfte er ja sogar die Musik abspielen, die die zwischen den uralten Säulen aufleuchtenden,

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