Im Gewand der Nacht
Lazar«, sagte er. Lazar war nicht nur der Goldschmied, den er am besten kannte, sondern auch der Arbeitgeber von Balthasar Cohens Sohn Berekiah – dem Jungen, den seine Tochter so mochte. »Du kannst mitkommen, wenn du willst«, fügte er hinzu. »Lazar gibt mir zwar immer Kredit, aber ich hätte doch gerne jemanden dabei, der mir hilft, meine Finanzen ein wenig im Auge zu behalten.«
Hülya blickte noch immer an ihrem Vater vorbei und meinte achselzuckend: »Wenn du willst, kann ich dir helfen.«
»Ja. Ja, das wäre schön«, sagte er und beobachtete, wie seine Tochter vor Vorfreude wie elektrisiert war. Er wusste genau, was sie empfand. Das letzte Mal, dass er dieses Gefühl selbst verspürt hatte, war am Abend vor Fatmas Abreise nach Antalya gewesen, als sie miteinander geschlafen hatten. Trotz grauer Haare, Übergewicht und Krampfadern war Fatma İkmen noch immer eine schöne und leidenschaftliche Frau, und Çetin betete sie an. Er war ein sehr glücklicher Mann, dachte er, während er sich an den Abend erinnerte.
»Dann werde ich dir natürlich helfen«, meinte Hülya und schlang erneut die Arme um den Hals ihres Vaters. »Sollen wir uns dort treffen, oder kommst du vorher nach Hause und holst mich ab?«
»Ich hole dich hier ab«, sagte İkmen. »Also sieh zu, dass du dann fertig bist.«
»Okay.«
Danach verfiel seine Tochter in Schweigen und starrte mit verzücktem Blick vor sich hin. Wahrscheinlich überlegt sie, was sie anziehen soll, dachte İkmen, mit welchem Outfit sie den jungen Juden am meisten beeindrucken kann. Und obwohl er wusste, dass seine fromme Frau das nicht gutheißen würde, wünschte er seiner Tochter und dem Objekt ihrer Begierde insgeheim alles Gute. Schließlich war Berekiah Cohen ein wirklich netter junger Mann, der – im Gegensatz zu seinem Vater oder vielleicht gerade wegen seines Vaters – alle Frauen mit Respekt behandelte. Er war vollkommen anders als die Männer, die Hatice İpek vergewaltigt hatten, und auch völlig verschieden von dem nach außen hin so sanften Hassan Şeker. Allesamt schlechte Männer, Männer, von denen ein Vater nicht wollte, dass seine Tochter sie auch nur eines Blickes würdigte.
Als Hikmet Sivas in den sechziger Jahren als Ali Bey in Hollywood Karriere gemacht hatte, hatte er als Allererstes eine Villa in seiner Heimatstadt Istanbul gekauft. Da er aus Haydarpaşa stammte, einem Arbeiterviertel auf der asiatischen Seite der Stadt, beschloss er trotz seines neuen Reichtums in diesem Teil Istanbuls zu bleiben, wenn auch in dem etwas wohlhabenderen Vorort Kandilli.
Auf der Fahrt dorthin erzählte er Kaycee, dass er das große Haus damals hauptsächlich gekauft hatte, um die Träume seiner Mutter zu erfüllen. Sie war schließlich diejenige gewesen, der er alles zu verdanken hatte. Nachdem sein Vater, ein Eisenbahnarbeiter, bei einem Unfall gestorben war, hatte seine damals fünfundzwanzigjährige Mutter Gülnüş Sivas harte körperliche Arbeit auf sich genommen, um ihre drei Kinder zu ernähren und ihrem hübschem Hikmet die Schulausbildung zu ermöglichen. Die inzwischen verstorbene Frau sollte nie erfahren, dass der Englischunterricht, für den sie sich abgerackert hatte, für ihren Sohn zwar von großem Nutzen war, dass aber die Stunden, die er auf billigen, abgewetzten Besetzungscouchs verbrachte, und das, was er später in den Casinos von Las Vegas machte, seine Karriere viel nachhaltiger förderten als seine Fremdsprachenkenntnisse. Doch diese Gedanken behielt er jetzt natürlich für sich. Kaycee wollte wissen, wie das Haus aussah, also erzählte er ihr davon.
Die Villa – oder das yalı, wie die Anwesen am Bosporus hießen – wurde von seinem Bruder Vedat und seiner älteren Schwester Hale bewohnt und unterhalten. Das traditionelle, rosafarbene Haus verfügte über ein großes Erkerfenster, cumba genannt, das über das Wasser hinausragte und den Wohnbereich in ein helles, strahlendes Licht tauchte. Da Kaycee wegen der Geschäfte, die er in Istanbul zu erledigen hatte, viel Zeit allein in der Villa verbringen würde, hoffte Hikmet, dass sie Gefallen an dem Swimmingpool, an den Teichen und den antiken Gegenständen auf dem Anwesen finden würde. Zumindest blieb ihr in Kandilli der Duft des alten Istanbuls erspart, dieser intensive Geruch nach überlasteter Kanalisation, fauligen Zisternen und staubigen byzantinischen Tunneln. Zwar hatte Kaycee nichts gesagt, aber Hikmet war der Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht entgangen, als sie das
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