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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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besucht war, erwachte sie erst abends wirklich zum Leben. Nachtschwärmer, Touristen und müde Geschäftsleute strömten herein, um ein Glas erfrischenden Eistee zu trinken oder sich sogar eines der köstlich-klebrigen Gebäckstücke zu gönnen. Diese abendlichen Kunden machten einen nicht geringen Teil des Geschäfts aus, so dass in den Sommermonaten einiges zusammenkam, andernfalls hätte die Müren-Familie auch sicherlich kein Auge auf Hassan und seine Einkünfte geworfen. Suzan Şeker schaute besorgt in Richtung des Büros ihres Mannes und wandte sich dann mit einem Lächeln ihrem Kunden zu.
    »Guten Abend. Was darf ich Ihnen bringen?«
    »Ich hätte gerne einen Eistee und ein Glas Wasser.« Der Mann sah gut aus, gepflegt – so wie ein Geschäftsmann oder Rechtsanwalt.
    Suzan notierte die Bestellung auf ihrem Block. »Kommt sofort.«
    »Vielen Dank.« Er wandte sich ab und vertiefte sich wieder in seine Zeitung.
    Während Suzan den Notizblock in ihre Schürzentasche schob, fragte sie sich, ob dieser Rechtsanwalt, oder was immer er sein mochte, sich gegenüber seiner Frau auch so abweisend verhielt wie Hassan. Seit Stunden saß er nun in seinem Büro, einsam und allein. Gegen Mittag hatte sie kurz einen Blick hineingeworfen, aber danach hörte sie, wie er die Tür abschloss, und hielt sich fortan fern. Hassan machte das öfter, wenn es ihm schlecht ging, und im Augenblick fühlte er sich wirklich elend. Aber er konnte von seiner Frau wohl kaum erwarten, dass sie ihn über den Verlust seiner Geliebten hinwegtröstete. Suzan war durchaus bereit, ihn in Ruhe zu lassen und seine Arbeit mit zu übernehmen, aber sie würde ihm keinerlei Zuneigung zeigen, solange sich seine Laune nicht besserte. Und wenn er die ganze Nacht im Büro hocken wollte, dann war ihr das auch egal.
    Suzan ging gerade zum Tresen, um die verschiedenen Bestellungen zu erledigen, als sie die Explosion hörte. Zumindest dachte sie, es handele sich um eine Explosion, obwohl sie weder eine Erschütterung spürte noch ihre Gäste sichtbare Schäden davontrugen. Allerdings blickten sie genauso erschrocken wie sie in die Richtung, aus der der gewaltige Knall gekommen war: Hassans Büro.
    »Sind Sie hier die Besitzerin?« Der gut aussehende Rechtsanwalt war aufgesprungen und hielt Suzan am Handgelenk fest.
    »Nein, die Pastahane gehört meinem Mann, er …«
    »Wer ist in dem Raum?«, zischte er. Auch einige andere Kunden hatten inzwischen ihre Plätze verlassen.
    »Nur mein Mann«, erwiderte Suzan.
    »Bitte bleiben Sie alle, wo Sie sind«, befahl er und blickte sich prüfend in der Pastahane um. »Ich bin Polizist.«
    »Aber …«
    »Wenn Sie jetzt bitte alle das Gebäude verlassen würden.«
    Er winkte die Leute von der Trennwand vor dem Büro fort, aus dem jetzt ein merkwürdig verbrannter Geruch drang.
    »Was geht hier vor?«, fragte Suzan, während sie ihm half, die Gäste aus der Pastahane zu komplimentieren.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Aber lassen Sie niemanden herein. Ich werde nachsehen.« Dann griff er in sein Jackett und zog eine Waffe hervor.
    Erschrocken schlug Suzan die Hand vor den Mund.
    »Ist Ihr Mann allein?«, fragte er, während er auf die Bürotür zuging.
    »Ja, äh, aber die Tür ist … es ist abgeschlossen.«
    »Okay.«
    Er stand jetzt neben der Tür und bedeutete Suzan, hinaus zu ihren Gästen zu gehen.
    »Nein!«, sagte sie. »Da drin ist mein Mann …«
    Inspektor Mehmet Süleyman schob sie unsanft hinter die nicht eben stabile Trennwand und trat dann mit einer raschen Körperdrehung die Tür ein. Das dünne Holz zersplitterte unter seinem Schuh, und der rauchige, leicht säuerliche Geruch, den er vorher schon bemerkt hatte, traf ihn nun mit voller Wucht. Der Geruch konnte unmöglich von dem überquellenden Aschenbecher stammen, der neben dem blutbefleckten Arm auf dem Schreibtisch stand. Süleyman wusste sofort, dass irgendwo eine Waffe liegen musste.
    »Ist alles in Ordnung?« Die Stimme der Frau war ganz angespannt vor Angst. »Kann ich …«
    »Bleiben Sie, wo Sie sind!«, brüllte Süleyman. »Nicht reinkommen!«
    Natürlich würde sie ihren Ehemann später zu sehen bekommen – oder vielmehr das, was noch von ihm übrig war. Die Waffe war direkt unter seinem Kinn abgefeuert worden, mit dem Ergebnis, dass Teile seiner Schädeldecke und fast sein ganzes Gehirn über die dahinter liegende Wand verteilt waren. Süleyman spürte eine leichte Übelkeit aufsteigen, warf einen Blick auf den Boden und entdeckte, wie zu

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