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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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sprachen zum Schluss kurz darüber, wie sehr sie einander vermissten. An dem Punkt beendete İkmen das Telefonat. Trotz ihrer energischen Art brach Fatma in solchen Momenten manchmal in Tränen aus, und İkmen konnte den Gedanken daran jetzt einfach nicht ertragen, auch wenn das egoistisch war.
    Er hatte gerade den Hörer aufgelegt, als die Wohnungstür geöffnet wurde und Hülya hereinkam. İkmen warf einen Blick auf seine Uhr.
    »Du bist ziemlich früh«, meinte er stirnrunzelnd. »Ich wollte dich doch abholen.«
    »Hassan Bey ist tot«, sagte sie.
    »Tot?« Jetzt bemerkte İkmen, wie angespannt sie aussah.
    »Mehmet hat die Pastahane geschlossen. Er war dort, um etwas zu trinken.«
    İkmen ging zu Hülya hinüber und ergriff ihre Hand. Sie war eiskalt. Er führte sie ins Wohnzimmer und ließ sie auf einem der Sofas Platz nehmen. Trotz der immer noch drückenden Hitze legte er ihr eine Decke über die Knie und setzte sich neben sie.
    »Mehmet?«
    »Süleyman«, erwiderte sie. »Er war gerade in die Pastahane gekommen, um etwas zu trinken, als es passierte. Ich stand in der Küche. Es gab einen Knall.«
    Hülya erzählte ihrem Vater, dass Mehmet Süleyman in Hassan Şekers Büro eingedrungen war und seine Leiche gefunden hatte, und dass Suzan entgegen Mehmets Rat durch die Bürotür geschaut und wie verrückt zu kreischen begonnen hatte, als sie ihren Mann sah.
    »Onkel Arto kam gerade an, als ich ging«, sagte sie. »Also, wenn Mehmet euren Polizeiarzt hat kommen lassen und Hassan Bey erschossen war, dann muss er wohl ermordet worden sein.«
    »Ich weiß es nicht, Hülya«, erwiderte İkmen und zog ihren kleinen, frierenden Körper an sich. Allmählich wurde auch ihm innerlich kalt. Wer konnte ein Interesse daran haben, Hassan Şeker umzubringen? Oder hatte er sich selbst getötet? Und wenn ja, warum?
     
    Statt sich von Hikmet Sivas’ Anwesen in Kandilli aus auf den Weg nach Hause zu machen, fuhr Orhan Tepe zu Ayşe Farsakoğlus Wohnung in der Inönü Caddesi. Er rief sie kurz an, um ihr zu sagen, dass er unterwegs sei, und wartete dann im Wagen vor ihrer Haustür. Ayşes Bruder Ali, mit dem sie sich die Wohnung teilte, wusste zwar nicht, welche Rolle Tepe im Leben seiner Schwester spielte, aber in der Vergangenheit hatte er ihr unmissverständlich klar gemacht, dass er ihren Kollegen weder mochte noch in der Wohnung duldete. Und da Ali zu Hause war, schien es Tepe vernünftiger, nicht hinaufzugehen.
    Während des Telefonats hatte er Ayşe gebeten, etwas Besonderes für ihre Verabredung anzuziehen. Das erlesene Restaurant, in das sie gehen würden, wurde nur von gut gekleideten Gästen frequentiert. Ausnahmsweise hatte er genügend Bargeld zur Verfügung – und würde auch noch mehr bekommen, falls er später noch welches benötigte. Es war schön, einmal die Zügel in der Hand zu halten und die Abendgestaltung nicht vom Geld abhängig machen zu müssen, dachte er. Und als er sah, wie Ayşe zielstrebig auf seinen Wagen zukam – bei jedem Schritt spielte ihr langes, dunkles Haar reizvoll um ihre nackten Schultern –, verbarg er die beunruhigenden Gedanken, die mit seinem plötzlichen Reichtum verbunden waren, rasch hinter einem einladenden Lächeln.
    Das Kleid war zwar tief ausgeschnitten, bedeckte Ayşes makellose Beine aber bis zum Knöchel. Sie trug dieses Kleid regelmäßig, und es gefiel ihm immer noch sehr. Als sie in den Wagen stieg, raffte sie den roten Stoff zusammen und zog ihn neben sich auf den Sitz, damit er sich nicht in der Tür verfing.
    »Und, wo fahren wir hin?«, fragte sie, schloss die Wagentür und wandte sich ihm zu.
    »Also, ich dachte, wir fangen mit einem Abendessen im Rejans an«, sagte er, legte den Gang ein und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein.
    »Im Rejans?«
    Das Rejans zählte nicht nur zu den exklusivsten, sondern auch zu den ältesten Restaurants Istanbuls. In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von weißrussischen Flüchtlingen eröffnet, galt es seit langem als der Treffpunkt für die oberen Zehntausend der Stadt – und war damit keineswegs ein Ort, an dem man einen einfachen Polizisten und seine Geliebte erwartet hätte. Es sei denn, der Polizeibeamte hieß Mehmet Süleyman. Ayşe Farsakoğlu war sich dieser Tatsache schmerzlich bewusst und fragte auch sofort: »Was ist mit Süleyman? Was ist, wenn …«
    »Seine Frau liegt noch immer im Krankenhaus«, erwiderte ihr Liebhaber lächelnd. »Er wird nicht dort sein. Vielleicht seine Familie, aber die

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