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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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erwarten, eine Waffe unter dem Schreibtisch. Dieser Anblick war nicht gerade das, was er sich unter einer angenehmen Erfrischung in der Pastahane vorgestellt hatte. Wäre Çetin İkmen zu Hause gewesen, als er bei ihm geklingelt hatte, dann wäre er jetzt gar nicht hier. Er holte sein Mobiltelefon hervor und wählte eine Nummer. Während er darauf wartete, dass die Verbindung hergestellt wurde, bemerkte er einen großen Umschlag auf dem Schreibtisch, direkt neben dem Aschenbecher. Darauf stand nur ein einziges Wort: »Polizei«.
     
    »Ich meine ja gar nicht, dass Talaat unbedingt bei uns wohnen soll«, sagte Fatma. »Es wäre bloß besser, wenn er zurück nach Istanbul kommen würde. Dort könnte er wesentlich besser behandelt werden.«
    »Ja. Möglicherweise.« İkmen klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr und zündete sich eine Zigarette an.
    »Nein, sogar ganz bestimmt. Das hat ihm zumindest sein Arzt gesagt«, erwiderte seine Frau am anderen Ende der Leitung.
    İkmen stieß eine Rauchwolke aus. Genau wie Fatma wusste er, wohin dieses Gespräch führen würde.
    »Ja, aber er muss doch irgendwo wohnen, wenn er hierher kommt«, sagte İkmen gereizt. »Und entschuldige bitte, Fatma, aber ich sehe das noch nicht, dass er bei einer deiner Schwestern bleibt.«
    »Also …«
    »Nilüfer hat noch mehr kleine Kinder als wir, und ich glaube einfach nicht, dass Sibels Reinlichkeitsfimmel sich mit den Bedürfnissen eines krebskranken Mannes mittleren Alters vereinbaren lässt. Du etwa?«
    »Mein Bruder ist nicht mittellos!« Fatma ging wie üblich zum Angriff über. »Er würde nur so lange bei uns bleiben, bis er eine eigene Wohnung gefunden hat.«
    »Und dann müssten ich und meine Söhne beim Einzug helfen, und du würdest täglich dorthin gehen, um nach ihm zu sehen.«
    »Talaat ist mein Bruder, und er braucht Hilfe!«
    İkmen ließ sich in den Sessel neben dem Telefontisch sinken. Zugegeben, Fatma hatte ihn nicht gerade im günstigsten Moment erwischt. Das Telefon klingelte genau in dem Augenblick, als er müde und verärgert zur Tür hereinkam – nach einem Tag mit abgetrennten Köpfen, seinem Chef Ardiç und dem merkwürdigen und unergründlichen Verhalten der Heper-Schwestern. Das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, war die Aussicht, dass sein Schwager bei ihnen einzog. Der Mann konnte von nichts anderem reden als von Strandpartys, Wassersport und seinen dummen ausländischen Freundinnen, die kaum halb so alt waren wie er. Obwohl ihn zurzeit wahrscheinlich andere Dinge beschäftigten: Seit im Februar die Schmerzen in seinem Bauch unerträglich geworden waren und man bei ihm Darmkrebs diagnostiziert hatte, musste Talaat sich vorrangig mit lebensgefährlichen Operationen und Medikamenten befassen, von denen ihm die Haare ausfielen. Armer Kerl. İkmen hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen, weil er so herzlos war, und dann tat er das, was er bei Fatma immer tat – er kapitulierte.
    »Also gut, wenn der Arzt sagt, dass es für Talaat besser ist …«
    »Wir brauchen noch ein paar Tage, um seine Angelegenheiten hier zu klären«, meinte Fatma geschäftsmäßig wie stets, wenn sie gerade einen Streit mit ihrem Mann gewonnen hatte. »Haldun hat schon zugesagt, sich um die Vermietung der Wohnungen zu kümmern, bis es Talaat wieder besser geht.«
    »Verstehe.«
    Natürlich war alles längst besprochen und abgemacht gewesen, bevor sie auch nur zum Telefon gegriffen hatte.
    »Und wo soll Talaat schlafen?«, fragte İkmen. »Diese Wohnung hier erinnert jetzt schon an ein prall gefülltes Weinblatt.«
    »Er kann Bülents Zimmer haben«, erwiderte Fatma. »Und der schläft solange wieder bei seinen Brüdern im Zimmer.«
    İkmens Schädel begann zu brummen. Bülents Heiligtum, das dem Fußballverein Galatasaray Istanbul gewidmet war, konnte nicht einfach annektiert werden, jedenfalls nicht ohne Kampf. »Na, das darfst du ihm dann sagen, Fatma«, meinte er müde. »Er hat jahrelang auf dieses Zimmer gewartet.«
    »Ja, und er wird es bald wieder verlassen, wenn er zum Militärdienst geht.«
    »Ja.«
    »Aber wenn du willst, dass ich es ihm sage – bitte, von mir aus. Ich bin mir sicher, wenn er hört, dass er sein Zimmer dem armen Onkel Talaat überlassen soll, wird er das mit Freuden tun.«
    »Na, das wollen wir hoffen«, stieß İkmen mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Danach lenkte Fatma das Gespräch klugerweise auf unverfänglichere Themen: Sie redeten über die Kinder, klagten über gestiegene Preise und

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