Im Gewand der Nacht
das Kleid trug. Allein beim Gedanken daran ging sie schneller, um zu der Wohnung zu kommen.
Ayşe bog gerade von der Pertev Paşa Sokak auf die Piyerloti Caddesi, als sie das typische anerkennende Pfeifen eines Mannes hörte. In ihrem Aufzug provozierte sie nicht zum ersten Mal eine solche Reaktion, und normalerweise ignorierte sie, was immer man ihr zuflüsterte oder hinterherrief. Doch jetzt – möglicherweise weil sie sich so sexy fühlte – verharrte sie einen kurzen, aufreizenden Augenblick und blickte sich dann um. Bedauerlicherweise entsprachen die Männer, die sie sah, überhaupt nicht ihrem Geschmack. Allerdings waren sie ihr auch nicht unbekannt.
Celal Müren war zwar fast noch ein Kind, aber dennoch ein ziemlich unerfreulicher Zeitgenosse. Er hatte mehr Zeit in Polizeigewahrsam verbracht, als ihm lieb sein konnte. Bei einer Gelegenheit hatte sie ihn sogar persönlich verhaftet, wegen einer Schlägerei. Und obwohl er bisher keine wirklich schweren Straftaten begangen hatte, wusste Ayşe, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er ein richtig großes Ding drehte. Mit einem älteren Bruder wie Ekrem, der mit einem affektierten Grinsen auf dem Gesicht neben ihm stand, schien seine kriminelle Karriere so gut wie vorprogrammiert. Ekrem Müren war genau wie sein Vater ein Berufsverbrecher, und genau wie dieser beschränkte auch er sich nicht nur auf ein illegales Gewerbe. Während seines kurzen Lebens hatte er bereits die Finger in Prostitution, Schutzgelderpressung und Drogenhandel gehabt, und Gerüchten zufolge war er auch als Auftragskiller tätig gewesen.
Celal, dem nun buchstäblich die Zunge aus dem Hals hing, erkannte Ayşe nicht, was sie ganz wundervoll fand. Die Müren-Brüder waren stadtbekannt, auch wenn sich ihnen kaum je etwas nachweisen ließ – Tote konnten schließlich nicht mehr aussagen. Daher schien es Ayşe Farsakoğlu angebracht, Celal und Ekrem ein wenig zu erschrecken. Sie ging auf sie zu, wiegte sich dabei aufreizend in den Hüften und blieb schließlich direkt vor ihnen stehen. Ekrem strich sich durch das dichte, gegelte Haar und leckte sich bewundernd die Lippen.
Lächelnd wandte Ayşe sich an Ekrems Bruder: »Hallo Celal, dich habe ich ja lange nicht gesehen. Wo hast du gesteckt?«
Vollkommen überrumpelt starrte Celal sie mit offenem Mund an.
Ekrem schob ihn beiseite und stellte sich vor seinen Bruder. Seine Augen ruhten auf Ayşes Brüsten, und er streckte die Hände aus, als wollte er sie umfassen; doch kurz bevor seine Finger ihren Busen tatsächlich berührten, hielt er inne.
»Und woher kennt solch ein schönes Kind wie du meinen Bruder?«, fragte er. »Der ist doch noch ein Baby.«
»Ach, ich hab deinen Bruder letztes Jahr verhaftet«, sagte Ayşe und genoss den Anblick von Ekrem Mürens Gesicht, aus dem schlagartig alles Blut wich.
» Sie sind Polizistin?«
»Ja, das ist richtig, Herr Müren«, erwiderte eine tiefere, männliche Stimme.
Ayşe Farsakoğlu drehte sich um und sah Orhan Tepe, der hinter ihr stand. Trotz der Dunkelheit konnte sie erkennen, dass sein Gesicht rot vor Wut war.
»Sie ist Wachtmeisterin«, fuhr er fort, den Blick fest auf Ekrem Mürens Hände geheftet, die nun hastig von Ayşes Brüsten weggezogen wurden.
Celal Müren sah seinen Bruder ängstlich an. »Ich kann mich nicht an sie erinnern«, sagte er. »Ich würde mich doch bestimmt an sie erinnern, Ekrem.«
»Halt’s Maul.«
»Abmarsch«, befahl Tepe kalt und fügte hinzu: »Ihr beiden Jüngelchen.«
»Wir haben nichts gemacht, Wachtmeister …«
»Nein, aber ihr seid Abschaum«, sagte Tepe und verscheuchte die Brüder aus dem nach Parfüm duftenden Umfeld seiner Geliebten.
Mit einem anzüglichen Grinsen trollten sich Ekrem und sein Bruder in Richtung der Okçularbaşı Caddesi. Vermutlich zurück zur Wohnung ihres Vaters, dem Stützpunkt der Familie, dachte Farsakoğlu.
Als die beiden außer Sichtweite waren, sah Ayşe Tepe an. »Bist du mir etwa gefolgt, Orhan?«, fragte sie und lächelte bei dem Gedanken.
»Nein«, erwiderte er, blickte ihr aber nicht in die Augen.
Normalerweise trafen sie sich nicht auf der Straße, denn er ging auf einem anderen Weg zur Wohnung seines Bruders als sie. So hatten sie es immer gehalten. Ein Treffen in der Öffentlichkeit konnte gefährlich sein – Orhans Frau hatte viele Verwandte und Freunde, und Orhan wollte verhindern, dass man sie zusammen sah. Die Tatsache, dass sich ihre Wege nun genau in dem Moment kreuzten, als sie sich ein wenig mit
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