Im Glanz der roten Sonne Roman
habe ich mich gefragt, ob er dich auch bedroht hat.«
Nebo starrte auf die Lampe, die von Käfern und Motten umschwirrt wurde, und seine Gedanken schweiften zehn Jahre in die Vergangenheit. »Milo Jefferson ist hergekommen, nachdem Master Patrick gestorben war«, sagte er dann. »Er sagte, Master Courtland wollte, dass Saul und Noah als Arbeiter auf seine Plantage kommen, aber Saul und Noah wollten nur für Master Patrick arbeiten. Er hat wirklich auf sie geschossen, Miss Eve. Saul und Noah mussten zum Fluss rennen, sonst wären sie tot gewesen.«
Eve war entsetzt. »Und du?«
»Ich konnte nicht rennen, damals schon nicht, aber Master Jefferson sagte, ich wäre sowieso kein guter kanaka ... zu alt zum Arbeiten. Er sagte, ich soll fortgehen, weil Master Courtland diese Plantage kaufen würde.«
»Aber das hat er nicht getan?«
»Master Jordan wollte Eden nicht verkaufen. Das habe ich Master Jefferson gesagt, und da ist er sehr wütend geworden.« Nebo berührte mit einer Hand wie unabsichtlich eine Narbe auf seiner Wange, und Eve ahnte, was geschehen war.
»Nebo, ich möchte nicht, dass Jordan erfährt, wer ich wirklich bin.«
Nebo starrte wieder auf die Lampe. Eve hatte ihm anvertraut, dass sie eine Courtland war, doch in seinen Augen war sie eine Kingsly.
»Wenn er herausfindet, dass Maximillian Courtland mein Vater ist, schickt er mich von Eden fort.«
»Master Jordan ist ein gerechter Mann, Miss Eve. Außerdem sind Sie nicht bei Master Courtland aufgewachsen, sondern bei den Kingslys.«
»Ich habe nicht gewusst, dass mein Vater für so viele schreckliche Dinge verantwortlich ist, Nebo, aber ich kann nicht erwarten, dass Jordan meine Herkunft einfach ignoriert. Das wäre zu viel verlangt. Bitte, sag ihm nicht die Wahrheit, Nebo. Vielleicht finde ich eines Tages den Mut ...«
Nebo sah die Angst auf Eves Gesicht. Er hätte alles für sie getan, denn er liebte sie wie eine Tochter, doch es gefiel ihm nicht, Jordan zu belügen.
»Gut, ich werde ihm nichts sagen, Miss Eve. Aber irgendwie kommt die Wahrheit immer ans Licht.«
9
J ordan trennte sich vor der Arbeiterbaracke von Saul und Noah, wo sie an Nebos Lagerfeuer schlafen wollten, und schlenderte allein am Flussufer entlang. Es war schon spät, und er war sehr erschöpft, doch er wollte die wundervoll milde Nacht genießen. Selbst der Lärm der quakenden Ochsenfrösche klang in Jordans Ohren wie eine Sinfonie. Sie weckte Kindheitserinnerungen an heiße Nachmittage, als er in den flachen Pfützen am Flussufer Kröten gefangen und an Seilen geschaukelt hatte, die an den Ästen der riesigen Bäume festgebunden waren.
Fast eine Stunde lang blickte Jordan auf den Fluss, der gemächlich an der Plantage vorüberströmte. Das Spiegelbild des Mondes tanzte auf der glatten Wasseroberfläche, und die leichte Brise, die über die dunklen Tiefen strich, war angenehm kühl. Ganz langsam löste sich Jordans seit Wochen angestaute Spannung. Zum ersten Mal seit seiner Rückkehr nach Geraldton fühlte er wirkliche Hoffnung in sich aufkeimen, was die Zukunft Edens betraf – doch den Plan, Maximillian Courtland zu vernichten, vergaß er darüber nicht.
Als Jordan später die Veranda betrat, auf der er schlief, blieb er einen Moment stehen und ließ den Blick über die frisch gerodeten Zuckerrohrfelder schweifen, die von silbrigem Mondlicht übergossen vor ihm lagen. Er erschrak, als er eine Gestalt bemerkte, die sich ihren Weg über die frisch gehackte Erde suchte. Er glaubte, seine Einbildung spiele ihm einen Streich, und zwinkerte mehrere Male, doch die zierliche Gestalt, dieJordan im Mondlicht wie eine Erscheinung vorkam, verschwand nicht. Es gab keinen Zweifel: Jemand kam direkt auf das Haus zu.
Jordan schob den Gedanken beiseite, dass es sich um einen von Maximillian Courtlands Handlangern handeln könne, denn wer immer es sein mochte, er war in Weiß gekleidet – kaum eine geeignete Tarnung auf freiem Feld in einer mondhellen Nacht. Einen Moment lang dachte Jordan, es wäre eine Aborigine-Frau vom Volk der Jirribal, die in der Gegend lebten, doch dann sah er den fließenden Stoff eines Kleides und bemerkte, dass die Frau alle paar Schritte stehen blieb und seltsame Verbeugungen machte. Als Jordan begriff, dass sie immer wieder Schmutz von ihren Schuhen streifte, ließ er sich in den Liegestuhl sinken und beobachtete, wie die Frau langsam näher kam. Es gab nur einen Menschen, der dreist genug war, um diese späte Stunde einen Besuch zu machen, und dumm genug, im
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