Im Hauch des Abendwindes
hoffte, dass Jed auch zu seiner Verantwortung stand. »Woher hat Jed eigentlich gewusst, dass Sie so gut reiten können?«
»Er hat damals zusammen mit meinem Vater auf Bunyan Hill Station gearbeitet. Die beiden waren gut befreundet.«
Ruby war schockiert. Das machte Jeds Verhalten in ihren Augen noch fragwürdiger. »Wenn Sie schon als kleines Kind reiten gelernt haben, wieso kann ich das dann jetzt nicht auch?«
»Wer sagt das?«
»Jed. Er sagt, ich könne nicht auf Silver Flake reiten lernen.«
»Da hat er allerdings Recht. Für einen Anfänger ist sie viel zu temperamentvoll.«
»Aber sonst gibt es hier kein Pferd, auf dem ich reiten lernen könnte«, klagte Ruby.
»Bernie hat zwei Esel, vielleicht haben Sie sie schon in der Stadt gesehen. Sie könnten auf einem von denen reiten lernen«, schlug Kadee vor.
Ruby riss entsetzt die Augen auf. »Was? Eins von diesen Viechern hat mich gebissen!«
Kadee lachte laut heraus. Dann entdeckte sie zufällig Bernie in einem Pferch bei einem seiner Kamele. Sie fragte ihn gleich.
Bernie war sofort einverstanden. »Sicher, warum nicht? Für Banjo hab ich einen Sattel, der von Bessie muss erst ausgebessert werden. Ich werde euch Banjos Sattel holen, er dürfte allerdings ziemlich verstaubt sein.«
»Das macht nichts«, sagte Kadee. »Den kriegen wir schon sauber.«
Bernie ging auf die beiden zu. »Banjo könnte am Anfang ein bisschen griesgrämig sein, weil schon lange niemand mehr auf ihm geritten ist.«
»Noch griesgrämiger als sonst?«, bemerkte Ruby spitz. »Womöglich war er es, der mich neulich in der Stadt gezwickt hat.«
Bernie lachte. »Das war bestimmt nur ein zärtliches Knabbern. Ich seh mal vor dem Haus nach, ob Banjo und Bessie von ihrem Streifzug schon zurück sind. Spätestens zur Fütterungszeit trudeln sie immer hier ein.«
Kurze Zeit später hatte Bernie den Sattel gebracht und die beiden Esel in die Koppel neben Silver Flake geführt. Banjo und Bessie dürften nicht getrennt werden, hatte er den beiden jungen Frauen erklärt, weil sie sich sonst viel zu sehr aufregten. Die Esel und das Pferd beschnupperten sich durch den Zaun hindurch. Banjo und Silver Flake schienen sich gut zu verstehen, aber Bessie versuchte, den Eselhengst von Silver Flake wegzudrängen.
»Wahrscheinlich wittert sie in Silver Flake eine Nebenbuhlerin und ist eifersüchtig«, meinte Bernie.
Kadee lachte über diese Bemerkung, Ruby hingegen beäugte Banjo misstrauisch. Es war tatsächlich der Esel, der sie gezwickt hatte.
»Jed darf nicht wissen, dass ich reiten lerne«, sagte sie zu Bernie.
Sie wollte auf keinen Fall auf dem Esel gesehen werden; sie konnte sich lebhaft vorstellen, was für einen grotesken Anblick sie bieten würde.
»Ich werde schweigen wie ein Grab«, versprach Bernie. »Bessie wird übrigens nebenhertrotten, sie kann nicht allein hier zurückbleiben.«
»Oh. Na schön.« Ruby zuckte die Achseln. »Banjo wird sich hoffentlich benehmen, oder?«, fragte sie nervös. »Er wird mich doch nicht wieder zwicken?«
»Das kann ich nicht versprechen. Er zwickt nun mal gern, aber das ist nicht böse gemeint.«
»Nicht böse gemeint?«, empörte sich Ruby. »Ich hatte einen ganz schönen blauen Fleck.«
Bernie lachte nur.
»Dann wäre da noch die Sache mit dem Herunterfallen.« Kadee grinste frech.
»Ich würde es lieber vermeiden, aber ich denke, jeder Anfänger fällt mal herunter, oder?«
Kadee nickte. »Das stimmt. Wissen Sie, was? Kommen Sie heute Abend vorbei, und dann sehen wir, wie Sie sich auf Banjo machen. Ich werde auf Silver Flake nebenherreiten und Ihnen Anweisungen geben. Dann wird sich schnell herausstellen, ob Sie das Zeug zu einer Reiterin haben oder nicht.«
»Da fällt mir ein, ich hab gar keine Reitstiefel.«
»Ich habe Hesters aufgehoben, die können Sie gern haben«, warf Bernie ein. »Ich werd sie gleich mal holen, dann können Sie sie anprobieren.«
»Wunderbar, danke, Bernie!« Ruby strahlte. »Ich werd mich dann mal wieder auf den Rückweg machen, sonst schickt Mick am Ende noch einen Suchtrupp los. Wie sind Sie hergekommen, Kadee?«
»Zu Fuß.«
»Wie weit ist das denn?«
»Ungefähr eine Stunde. Unser Lager befindet sich am Black Hill Creek.« Kadee zeigte nach Süden.
Das bedeutete, dass sie noch vor Sonnenaufgang aufgebrochen sein musste. »Werden Sie jetzt den ganzen weiten Weg wieder zu Fuß gehen?« Es war jetzt schon ziemlich heiß, bald würde es unerträglich werden.
»Nein, ich treff mich unten am Fluss mit ein
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